Erinnerungskultur

Editorial

Erinnerungskultur

«Aufbewahren oder fortschmeissen?» Eine Frage, auf die es nur abwägende Antworten gibt.

Meine Schwiegermutter konnten wir nur knapp daran hindern,  ein selbstgebautes Modellschiff ihres in jungen Jahren verstorbenen Mannes nicht auf den Müll zu werfen. Es steht jetzt bei uns in der Stube als wertvolle Erinnerung. 

Im Haus meiner Eltern hingegen treffe ich an jeder Ecke auf Gegenstände nicht nur voller persönlicher, sondern auch historisch bedeutsamer Erinnerungen. Das Haus ist seit drei Generationen im Familienbesitz, und immer bewohnten es historisch interessierte Menschen. Gemälde, Gegenstände, Bücher und Schriften im Zusammenhang mit ihren Forschungen sind immer noch im Haus. 

Gerade ist meine Mutter daran, Liebesbriefe ihrer Eltern in der alten, heute von uns nicht mehr lesbaren Handschrift, zu übertragen. Die Briefe sind hoch spannend, da meine Grossmutter ihren Liebsten gegen den Willen ihrer Eltern sich erkämpfte, für die damalige Zeit erstaunlich. Meine Mutter fragt sich, ob ihre Eltern diese Briefe bewusst hinterlassen oder sie einfach vergessen haben in irgendeiner Schachtel auf dem Estrich?

Gleichzeitig gibt es heute Aufräumcoaches, die helfen, sich von Dingen zu lösen, und die Minimalismus-Bewegung, die propagiert, mit möglichst wenig zu leben. Innere Freiheit und Leichtigkeit wird dabei versprochen. Es hat etwas an sich. Wird im Elternhaus mal etwas versehentlich entsorgt, bevor es meine Mutter abgesegnet hat, denkt sogar sie: Auch gut, so müssen wir uns nicht fragen, welchen Wert es hat, ob wir es behalten oder weitergeben sollten ...

Sicher ist es wertvoll, uns der Vergangenheit und der Menschen, die uns aus der Familiengeschichte heraus geprägt haben, bewusst zu sein – um dann innerlich frei davon auch wieder weiterzugehen, auf unserem eigenen Weg. Ob das nun mit Wegschmeissen einhergeht oder nicht, ist gar nicht so wichtig. Verbunden bleiben, aber nicht gebunden sein, das ist wohl die Kunst ...

Text: Beatrix Ledergerber