Sanfter Einfluss

Editorial

Sanfter Einfluss

Noch immer habe ich die Bilder von Menschenmengen, die am Sarg der Queen Abschied nehmen, und von beeindruckenden königlichen Ritualen vor Augen.

Etwas erstaunt über diesen ungeheuren Aufwand, mit dem Queen Elizabeth II. verabschiedet und beerdigt wurde, bin ich ja schon – aber auch etwas neidisch. Es tut doch einfach gut, wenn es eine Person gibt, die Menschen zusammenhält, die ein Vorbild ist und Werte verkörpert, die mir wichtig sind. 

Die britische Königin konnte allerdings nur deshalb eine Identifikationsfigur für das britische Volk sein, weil sie keine politische Macht hatte. 

Natürlich: sie war Staatsoberhaupt, setzte Regierungen ein und hätte theoretisch das Parlament auflösen können, und war Oberbefehlshaberin der Armee. Aber diese königlichen Hoheitsrechte sind per Gesetz oder per ungeschriebenem Gewohnheitsrecht immer beschränkt und nur in Zusammenarbeit mit der Regierung auszuüben. 

Sie hatte eine andere Macht: bei den wöchentlichen Besuchen des Premierministers oder der Premierministerin musste sie angehört werden, sie konnte ermutigen oder warnen. Sie konnte Begnadigungen aussprechen oder Urteile reduzieren. Und sie vergab alle Ehren und Würden des Königreichs. 

Wäre das nicht auch eine Möglichkeit, wie kirchliche Würdenträger und Würdenträgerinnen, wie vielleicht eines Tages Päpste – und warum nicht auch Päpstinnen –, Bischöfe und Bischöfinnen wieder Vorbilder und Identifikationsfiguren, geistliche Leader und spirituelle Führerinnen sein könnten? Sie könnten durch ihre Güte und Menschlichkeit, durch ihre Verbundenheit mit Gott und ihren tiefen Glauben beeindrucken und so sanft auf die Geschicke der Menschheit Einfluss nehmen – ohne kirchenpolitische Entscheidungsgewalt.