Surroyal

Narrenschiff

Surroyal

Vorneweg: Die Trauerfeierlichkeiten rund um den Tod der Queen haben mich nicht zum Royalisten gemacht. 

Aber zwischen den Fingern habe ich doch permanent völlig gebannt auf den Bildschirm gelinst. Bei allen drei Teilen von «Sissi» konnte ich mich noch blasiert abwenden, aber in den elf Tagen vom 8. bis 19. September hat’s mich voll erwischt.

In dieser Zeit habe ich gestaunt. Über die Effizienz von Ritualen und Protokollen. Gleichzeitig bis zum Exzess trauern und ruckzuck einen neuen König installieren. So geht das also. Bis auf eine widerspenstige Füllfeder die perfekte Choreo. Und was für ein Kontrast zu meinem Entscheidungschaos, in dem kein Weg vorgezeichnet und keine Entscheidung vorüberlegt ist. Elf Tage schreiten statt stolpern. Welche Wohltat.

Dann habe ich mich gewundert. Über das offenbar endlose Arsenal an Fantasieuniformen im royalen Zeughaus. Ich habe mir von BBC-Kommentatoren sagen lassen, dass diese Uni-formen allesamt frühestens aus dem 19. Jahrhundert stammen. In England ist grade die weltgrösste Operetten-Armee an uns vorbeimarschiert. Was für eine Ausstattungsorgie.

Dann war ich irritiert. Von Gottesdiensten, in denen ich mich immer wieder gefragt habe: Wer dient hier eigentlich wem? Wird hier nicht permanent die Monarchie durch das Wohlgefallen des Allerhöchsten legitimiert? Die Gnade, mit der unser Herr auf seine gnädigste Dienerin herabblickt, fühlt sich fast kumpelhaft an. Ein Pakt unter ihresgleichen.

Dann habe ich mich gefragt. Woher kommt der ganze Reichtum, der hier vorgeführt wird? Weshalb jubeln wir den Royals zu, die so abgehoben und unnahbar sind, dass der Kuss auf die Wange eines Königs zur Sensation wird?

Und dann war ich doch gerührt. Über die vielen Menschen, die nicht bloss von ihrer Queen Abschied genommen haben, sondern von einer ganzen Epoche. Endlich verstehe ich doch noch: Die Trauer galt dem Abschied von Beständigkeit und Vertrautheit. Wir sind bewegt, weil ein Fixpunkt im rasend schnell drehenden Weltkarussell überraschend plötzlich weg ist.

Was bleibt mir, aufgewacht aus diesem surroyalen Traum? – Auch wenn ich es mir nicht gerne eingestehe: Hin und wieder einen Schuss Pomp, ein Quäntchen Technicolor und eine Prise Götterstaub tun meiner Seele gut.

By the way: Die Engländer nennen den letzten Teil des Hirschgeweihs «königlich». Damit ist es allerdings noch nicht genug, denn es gibt da noch einen allerletzten Teil, oberhalb des königlichen Teils gelegen. Ihn nennen sie «surroyal».

Text: Thomas Binotto