Verantwortung wahrnehmen

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Verantwortung wahrnehmen

Der ökumenische Bodensee-Kirchentag endete mit einem positiven Fazit – und mit einem dringlichen Aufruf zum Handeln.

Am Ende zog das Organisationskomitee eine positive Schlussbilanz. Mit seiner Bemerkung, er habe sich wegen zweier pandemiebedingter Verschiebungen lange Zeit mehr als KO-Präsident denn als OK-Präsident gefühlt, erntete Münsterpfarrer Matthias Eichrodt bei seinem Schlusswort auf der Fronwagplatzbühne manch einen Lacher. Und seine offizielle Bilanz? «Hoffnung kann man nicht sehen, aber spüren – und wie!»

Spürbar war, neben der Müdigkeit, die Erleichterung beim restlichen Organisationskomitee mit Pfarrer Martin Breitenfeldt, Hallau, Pfarrer Matthias Stahlmann, Büsingen, sowie Marina Furrer als Marketing- und Kommunikationsfachfrau. Bei ihnen lautete das Fazit nicht etwa «Ende gut, alles gut», sondern optimistischer: «Ende besser, Kirchentag gerettet.»

Das vielseitige Gottesdienstangebot lockte viele Teilnehmer: Familiengottesdienst mit Baumpflanzaktion. Foto: Doris Brodbeck

Zwar hat sich bislang keine Bodenseestadt als Organisatorin des Bodensee-Kirchentags 2024 gemeldet, doch Christina Aus der Au, Podiumsteilnehmerin am Samstag und Moderatorin am Sonntag, hat als neue Thurgauer Kirchenratspräsidentin zumindest nicht abgewunken.

Bei der Frage nach dem Erfolg eines Grossanlasses interessiert nicht zuletzt die Teilnehmerzahl, die man in diesem Fall nicht genau angeben kann. «Deutlich mehr als 2016 in Konstanz», schätzte das OK, oder «deutlich mehr als erwartet» und schliesslich: «5000 bis 6000, wenn man die Besucherinnen und Besucher der einzelnen Veranstaltungen zusammenzählt».

Geradezu überwältigend war die Teilnahme an den sechs Gottesdiensten am Sonntagmorgen. Egal ob Jodlermesse oder Jazzmesse beziehungsweise Meditations-, Klima-, Familien- oder ökumenischer Gottesdienst – alles stiess bei total 1500 Gläubigen auf regen Anklang, so dass es nun zu analysieren gilt: Warum nicht immer?

Kurz nach Mittag wandelte Regierungsrat Patrick Strasser auf der Fronwagplatzbühne auf den philosophischen Spuren von Karl Jaspers und Aristoteles und zeigte sich hoffnungsvoll für die Zukunft, weil man am Kirchentag viele Impulse für die richtigen Tätigkeiten in der 
Gegenwart habe sammeln können.

«Öffnet den Kreis, hier gibt es nur Freunde, die du bisher gar nicht getroffen hast», sang Clemens Bittlinger, Sohn des früheren Oberhallauer Pfarrers Arnold Bittlinger. Tatsächlich hat der Kirchentag viele Begegnungen, auch neue, ermöglicht. Die Mitsingqualität des Publikums dieser «Stars in Town» wies allerdings noch einiges Steigerungspotenzial auf. Doch angesagt war ja vor allem Nachdenken über die gehörten Texte. Und das zuletzt gesungene Wortspiel «Christen zu bekehren, ist eine Heidenarbeit» konnte geradezu als Kompass für die Schlussdiskussion gelten.

Vom Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag ausgehend, kam Nationalratspräsidentin Irène Kälin auf den Krieg in der Ukraine und die Klimaveränderung zu sprechen. Wir hätten allen Grund, dankbar zu sein, würden aber unsere Verantwortung füreinander nicht wahrnehmen. Die Klima- und Biodiversitätskrise entwickle sich mehr und mehr «zur grössten Ungerechtigkeit unserer Zeit».

Zwar seien alle Menschen gleichermassen betroffen und gefordert, doch seien die Kirchen beziehungsweise die Gläubigen besondere Hoffnungsträger. Dabei betonte Kälin pragmatisch und eindringlich, dass schöne Worte nicht ausreichen, sondern dass einzig und allein unsere Taten die Welt von morgen gestalten.

Wenn ich mir überlege, in welcher Welt mein Enkel dannzumal leben soll, dann weiss ich, was ich als Opa zu tun habe.

Heinrich Bedford-Strohm

Mit Kantonsrat Maurus Pfalzgraf und Theo Schilling als Vertreter der Klimajugend legten zwei Schaffhauser der jungen Generation glaubwürdig dar, wie wichtig ihnen der Kampf gegen die Klimaerwärmung ist. Die Eigenverantwortung allein reiche nicht, es brauche daher schärfere staatliche Regulierungen.

Von Moderatorin Christine Aus der Au als «Ökumene-Papst» vorgestellt, zeigte sich Heinrich Bedford-Strohm, evangelisch-lutherischer Landesbischof von Bayern, dem Publikum vor allem als Grossvater. «2079 ist mein dreieinhalbjähriger Enkel so alt wie ich jetzt, 62 Jahre nämlich und in der Blüte seines Lebens», so der Landesbischof. «Wenn ich mir überlege, in welcher Welt mein Enkel dannzumal leben soll, dann weiss ich, was ich als Opa zu tun habe.» Und mit Blick in die Runde: «Ich glaube, hier sitzen einige Omas und Opas ...» Nicht gelten lassen wollte der Kirchenmann die Argumentation, die für den Klimaschutz geforderten radikalen Massnahmen seien nicht finanzierbar. «Die massivsten Schulden machen wir, wenn wir den notwendigen Umbau nicht beherzt angehen», so Bedford-Strohm. Mit Blick auf die Konsequenzen, die andere Völker und nachfolgende Generationen für unser Tun zu tragen haben, sprach er von einer «gelogenen schwarzen Null» und ermunterte die Zuhörer, sich zu überlegen, was denn in unserem Leben eigentlich normal ist beziehungsweise normal sein soll.

Text: Andreas Schiendorfer, Schaffhauser Nachrichten