«Christi Liebe bewegt die Welt»?

Welt der Religionen

«Christi Liebe bewegt die Welt»?

Nach acht Jahren war es wieder so weit: 4000 Menschen aus aller Welt trafen sich zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen von Ende August bis Mitte September in Karlsruhe. 

Ich selbst war als Steward, als Hilfskraft, an der Jugendkonferenz der Vollversammlung mit dabei. 

Das Motto «Christi Liebe bewegt die Welt» ärgerte mich zuerst: Will man damit den grossen aktuellen Themen ausweichen? In Karlsruhe angekommen, wurde ich jedoch überrascht: Die politischen Themen dominierten die Tagesordnung. Zuvorderst stand die Angst meiner Generation vor der Klimakatastrophe. Es traf mich sehr, Leute in meinem Alter berichten zu hören, wie unmittelbar und bedrohlich sie diese erleben. Klimakatastrophe für einmal nicht als ideologische Auseinandersetzung zwischen politischen Lagern, sondern in Form von jungen Menschen, die davon erzählen, wie in ihrer Heimat im Pazifik das Wasser steigt.  

Ich fühlte mich ohnmächtig: Es bleibt kaum Zeit zum Handeln, und trotzdem bin ich gelähmt durch das schiere Ausmass dieses Problems. Wie das Kaninchen, das unter den Augen des Habichts erstarrt, obwohl es wegrennen müsste, um sich zu retten. 

Im Lied zum Tagungsmotto heisst es: «Christi Liebe bewegt die Welt, um zur Einheit und Versöhnung bereit zu sein. In Christi Liebe, da ist keine Furcht. Der Geist hilft uns, beherzt und frei zu sein.» – Na ja. Mein Ärger wurde erst kleiner, als ich im Lauf der Diskussionen den Text plötzlich anders zu hören begann: Die pazifischen Delegierten betonten immer wieder, wie ihr Glaube der Motor hinter ihrem Engagement für die Erde ist. Das hat mich herausgefordert, über meinen eigenen Glauben, der sich häufig nicht so klar anfühlt, nachzudenken und zu überlegen, wo ich Kraft aus ihm ziehe. 

Dabei merkte ich, dass die Osterbotschaft mir wichtig ist. Gott spricht uns Menschen zu, dass das Leben stärker ist als der Tod, dass keine Lage so hoffnungslos bleibt, wie sie vielleicht jetzt ist. Ich kenne diese Erfahrung aus dem eigenen Leben: Manchmal, wenn ich auf eine schwierige Zeit zurückblicke, wundere ich mich beinahe, wie das Leben trotzdem weitergegangen ist, auch wenn es mir damals so schwer erschien. 

Es ist immer wieder ernüchternd wenig, was ich angesichts einer schwierigen Situation tun kann, sei es im Hinblick auf die Klimakatastrophe oder auf ein persönliches Problem. Aber auf diese Osterbotschaft hoffen zu können, gibt mir eine Perspektive, so dass ich nicht erstarre vor Schreck. Sie ermöglicht mir, aufzu(er)stehen und einen kleinen Schritt aus dem Schatten des Habichts herauszumachen und Verantwortung zu übernehmen. 

Wenn ich mich frage, was sich nun nach der Vollversammlung in Karls-ruhe wirklich ändert – da seufzt es in mir. Bei vielen Themen finde ich es peinlich, wie wenig weit und uneins die Kirchen sind. Aber ich habe in der Gemeinschaft in Karlsruhe etwas – vielleicht sehr Banales – gelernt: Es ist wichtig, als Kirche unser Augenmerk auf die sozialen und politischen Probleme unserer Zeit zu richten. Wenn wir sie lösen wollen, dürfen unsere Diskussionen nicht durch Furcht geprägt sein. Eine echte Veränderung erreichen wir eher, wenn wir es schaffen, einander Mut zu machen, und Perspektiven finden, die wir der Angst entgegensetzen. Wenn ich ihn so höre, wird der Motto-Liedtext für mich wahr. 

Text: Benjamin Graf