Kein Fussballfest

Standpunkt

Kein Fussballfest

Oliver Kraaz, Fussballfan und Kirchenprofi, mag bei der Fussball-WM nicht mehr hinschauen – weil die humanitären Missstände offensichtlich sind.

Warum verschiebt der Vatikan nicht ganz offiziell Weihnachten vom Dezember in den Sommer? Dann könnten wir nach der Bescherung im Garten feierlich den Christbaum anzünden und die Cervelats und Tofu-Spiesse über die Flammen des lodernden Baumes halten. Wäre praktisch und da hätte doch sicher niemand etwas dagegen. Der Samichlaus käme dann auch etwas früher, in Shorts und statt mit Nüssen und Mandarinli mit Soft Ice und Sonnencrème (Schutzfaktor 50).

Verschieben geht nicht? Geht doch! Die FIFA, der Milliarden-Konzern, der sich ungefragt für das Wohl des Fussballs einsetzt, hat ebendies getan und die WM in den November/Dezember gelegt. Ursprünglich zwar wie üblich in den Sommer, dann aber hat man in der FIFA-Zentrale dank Google herausgefunden, dass im Sommer Temperaturen von 50 Grad im Schatten herrschen. Das ist doch etwas happig. Wie schlimm, mussten die Sklaven auf den Baustellen Katars erleben, die bei diesen Temperaturen als Leibeigene die Stadien gebaut haben. Einige starben durch Unfälle oder durch die unwürdigen Arbeitsbedingungen. Zwischen 3 (wie Katar behauptet) und 6500 (wie der «The Guardian» schreibt).

Das geht natürlich nicht, diese Hitze, fand die FIFA und verlangte von Katar Klimaanlagen. Also nicht für die Bauarbeiter, sondern für die Stadien, damit die in der Wüste im Dezember auf angenehme Temperaturen runtergekühlt werden können. 

Schwule oder lesbische Fans dürften dennoch ins Schwitzen geraten: Katar hat zwar nichts gegen Liebe. Aber wenn sich Menschen gleichen Geschlechts küssen, finden sich diese Liebespaare eher in Gefängnissen mit unfreundlichem Zimmerservice wieder denn in einem der vielen 5-Sterne-Hotels in Katar mit Honeymoon-Suiten.

Ja, es sind ganz fürchterliche Dinge, welche Amnesty International und zahlreiche Journalisten da herausgefunden haben. Nicht so fürchterlich finden dies jedoch die FIFA, der Schweizer Fussballverband und auch die Nati-Spieler. Immerhin sei der Fussball ein Mittel des Friedens, behaupten sie. Was die letzte WM 2018 in Russland eindrücklich gezeigt hat.

In diesem Zusammenhang kommt mir die Fussball-WM 1978 in Argentinien in den Sinn. Folter durch die Militärjunta war dort an der Tagesordnung. Trotz Kritik erhielt das Regime das Turnier, worauf der damalige deutsche Spieler Berti Vogts erwiderte: «Ich verstehe den Ärger nicht. Seit wir hier sind, habe ich keine einzige Folter gesehen.» Gut möglich, dass man während der Spiele im TV tatsächlich auch keine Folter sehen wird, weder vor noch nach den Werbespots. Wie beruhigend, umso mehr, wenn das Finale am 18. Dezember mitten im Advent stattfindet.

Nun, ich habe mit 52 Jahren so viele Fussballspiele besucht, dass es für weitere 10 Leben reichen würde. Aber ich bin noch lange nicht fertig. Nur an der Fussball-WM werde ich fussballfasten und keine einzige Minute schauen. Einfach aus Anstand. Dafür werde ich die Chronik «100 Jahre FC Wiedikon» fertig schreiben, für die ich mich in einem Anfall des Wahnsinns gemeldet habe. 

Sollen die Pfarreien zu Fussballabenden einladen, zum gemütlichen Beisammensein anlässlich einer Sklaven-WM? – Diese Frage stellt sich.

Text: Oliver Kraaz