Miteinander das Leben feiern

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Miteinander das Leben feiern

43 Jahre und 3 Tage sind Erwin Carigiet und Martin Schönenberger ein Paar, als sie das Sakrament der Ehe feiern. Der Segen ist für sie eine Bestätigung: «Es ist gut so.»

Nicht, dass es jemals nicht gut gewesen wäre zwischen den beiden. Martin Schönenberger und Erwin Carigiet wirken sehr zufrieden, während sie aus ihrem gemeinsamen Leben erzählen: Reisen, Musikgenuss, gepflegte Freundschaften, beruflicher Erfolg. Ihre Beziehung hatte schon gut begonnen, damals Ende der 1970er Jahre. Mit Erwin habe er früh das Gefühl gehabt, «dass es etwas ist, das länger halten wird», erinnert sich Martin Schönenberger. Auch Erwin Carigiet ahnte bald, dass er mit Martin «alt werden könnte». Damals waren sie beide gerade einmal 24 Jahre alt. 

Lebten sie für sich als Paar ein «normales Beziehungsleben», so hat es doch nach aussen hin einige bewusste Entscheidungen und eine gemeinsame Haltung gebraucht. Einerseits: «Wer sehen wollte, dass wir ein Paar sind, hat es gesehen», erinnert sich Erwin Carigiet. Verheimlicht haben sie ihre Liebe nie. Andererseits: Es hat auch Diskretion gebraucht und «das Abwägen, wo wir uns wie zeigen können». Die beiden erzählen ihre Geschichte nicht als eine, in der sie Verletzungen und Diskriminierungen eine gros-se Rolle spielen lassen. Nur einmal lässt Martin Schönenberger erahnen: «Es ist der Punkt, der immer noch kratzt, stört, weh tut.» Sie mussten sich einschränken – sie mussten sich selbst und ihre Beziehung immer wieder auch schützen.

Die beiden vernetzten und engagierten sich, wurden bereits früh Mitglieder in der «Homosexuellen Arbeitsgruppe Zürich HAZ» und bei «Pink Cross». Sie wollten und wollen einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten. Was ihnen auch gelungen ist, zumindest «s’birebitzli», wie Martin Schönenberger sagt: «Alleine schon dadurch, wie wir im Freundeskreis all die Jahre waren, ist klar geworden: Da sind zwei Männer zusammen, das ist gut möglich, das ist auch eine Form von Beziehung – und die hält sogar.»


Sichtbar zueinander stehen

Einfach Hand in Hand auf der Strasse laufen, sich eben mal öffentlich einen Kuss geben – die beiden können es auch heute noch nicht. «Wenn man sich über Jahrzehnte regelmässig umschaut, automatisch überprüft, wer um einen herum unterwegs ist …», überlegt Erwin Carigiet und sein Mann ergänzt: «… die Vorsicht ist in Fleisch und Blut übergegangen.» Und dann dieser eine Moment, in dem die beiden Männer vor dem Altar stehen, sich ihr Ja-Wort gegeben haben – und sich küssen. Öffentlich. Vor ihren Freundinnen, Freunden und Verwandten, vor rund 80 Menschen. «Das kann man sich gar nicht vorstellen …», lacht Erwin Carigiet und schüttelt den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. Ebenso Martin Schönenberger: «… dass das da so wunderbar möglich gewesen ist …».

Am 17. September 2022 haben die beiden geheiratet, als erstes Männer-Paar in der Augustinerkirche in Zürich. Die christkatholische Kirche hatte kurz zuvor in ihrer Nationalsynode einen Beschluss gefasst: «Jede Segnung, die die Kirche einer zivilrechtlich geschlossenen Ehe zwischen zwei Erwachsenen gleich welchen Geschlechts spendet, ist in gleicher Weise sakramental.» Das Sakrament der Ehe also für alle Paare, die ihren Lebensweg mit Gott gehen möchten – unabhängig davon, ob hetero- oder homosexuell. Erwin Carigiet und Martin Schönenberger sind schon vor diesem Beschluss von der römisch-katholischen in die christkatholische Tradition übergetreten: eine christliche Gemeinschaft, ihr Glaube und der Segen für ihre Ehe waren ihnen beiden wichtig genug.


Kirche sagt: «Ja, es ist gut»

Natürlich sei es bei ihrem Fest um «Emotion» gegangen, geben die beiden offen zu und ihre Motivation sei womöglich ähnlich gewesen wie bei manchem Hetero-Paar: «eine schöne Zeremonie zu feiern». Dass es ein Gottesdienst war, war den beiden gleichzeitig wichtig: «Wir wollten das Leben und unsere Beziehung feiern vor Gott – nicht mehr und nicht weniger», erklärt Erwin Carigiet und spricht weiter vom «Eingebettetsein in etwas Grösserem». Für ihn, den ehemaligen Ministranten, der «Hochämter geliebt hat, die Musik, den Weihrauch und alles», hat all das seine Bedeutung nicht verloren. Martin Schönenberger schätzt die Kirche seit jeher, wenn, dann für ihre Gemeinschaft. Er betont: «Mit diesem Gottesdienst hat mir die Kirche etwas gesagt – und alle Leute, die da gewesen sind – nämlich: 
Ja, es ist gut.»

Text: Veronika Jehle