«Im Fahr ist es mir wohl»

Interview

«Im Fahr ist es mir wohl»

Eine der bekanntesten – und auch umstrittensten – Seelsorgerinnen im Kanton Zürich ist in Pension gegangen. Wir haben mit Monika Schmid über ihre Zukunftspläne gesprochen.

Monika Schmid, weshalb treffen wir uns gerade im Kloster Fahr?

Obwohl ich im Kanton Luzern aufgewachsen bin, war ich als Kind oft hier, denn meine Standgotte war im Kloster Fahr Laienschwester und unterrichtete Kinderpflege an der Bäuerinnenschule.

Standgotte?

Ich wurde bereits drei Tage nach meiner Geburt getauft und meine eigentliche Gotte konnte da leider nicht dabei sein. Mein Vater hat deshalb eine Kinderkrankenschwester, eine Bekannte von ihm, im Spital gefragt, ob sie meine Standgotte sein wolle. Und sie haben wir dann hin und wieder am Sonntagnachmittag im Kloster Fahr besucht. Das habe ich immer mega genossen. Nicht nur wegen des guten Kuchens, sondern auch wegen der Atmosphäre. Ich habe meine Eltern immer wieder gedrängt, mit mir hierher zu kommen. Heute noch spaziere ich vier- bis fünfmal pro Jahr vom Hauptbahnhof Zürich hierher. Im Fahr ist es mir einfach wohl.

Was macht dieses Wohlsein aus?

Es ist ein Ort, an dem ich weiss – und das klingt jetzt vielleicht kitschig – an dem ich ganz tief in mir spüre, dass Himmel und Erde verbunden sind. Und das empfinde ich hier jedes Mal. Manchmal setze ich mich in die Kirche, manchmal gehe ich in die Vesper, manchmal treffe ich Schwestern – immer spüre ich eine unglaubliche Liebe.

Wollten sie nie in ein Kloster eintreten?

Als Mädchen wollte ich unbedingt nach Baldegg ins Kindergärtnerinnenseminar. Schon damals habe ich Orte gesucht, an denen sich Himmel und Erde verbinden, und bei den Klosterfrauen in Baldegg hoffte ich, genau das zu finden. Das hat sich dann bald zerschlagen. Die Realität war ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Als 18-Jährige hatte ich einen psychischen Zusammenbruch. Heute würde man das wohl eine Adoleszenzkrise nennen. Meine heile Welt war zerbrochen, und das setzte mir enorm zu. Ich habe dann ein halbes Jahr pausiert. In dieser Zeit ging ich bei einer Psychiaterin in Therapie. Und das war für mich so heilsam! Endlich begann ich zu verstehen, was mit mir los war. Danach habe ich die Ausbildung beendet und als Kindergärtnerin gearbeitet. Nach etwa einem Jahr habe ich mich aus eigenem Antrieb wieder bei der Psychiaterin gemeldet. Ich wollte den eingeschlagenen Weg vertiefen und bin dann sicher noch zwei Jahre in Therapie gegangen. Das hat mir für mein ganzes Leben unglaublich viel gegeben und mich davor bewahrt, je wieder zu glauben, dass ich selbst alles kann und muss.

Fast 50 Jahre später sind sie nun in Pension gegangen. Was erwarten Sie?

Ich freue mich sehr darauf, dass nicht mehr immer meine Agenda den Takt angibt. Dass ich hier ins Fahr wandern kann und dabei nicht schon daran denke, was ich daheim noch alles erledigen muss. Ich freue mich auch auf mehr Zeit fürs Gebet, denn im Alltag einer Pfarrei rotiert man so intensiv, dass die Zeiten für das persönliche Gebet oft zu kurz kommen.

Und sonst?

Zwischen einem Abschied und einem Anfang gibt es immer eine Lücke. Die grosse Kunst besteht darin, diese Lücke nicht sofort mit etwas Neuem zu stopfen. Ich werde versuchen, einfach zu warten und zu erleben, was die Lücke mit mir macht. Vielleicht wird es schwierige Zeiten geben, ich weiss es nicht.

Überhaupt keine Pläne?

Muss ich jetzt schon wissen, was ich machen werde? – Ich möchte lieber erfahren, was die Pensionierung mit mir macht. Das Einzige, was ich bislang geplant habe, ist eine Velotour im nächsten Frühling. Dann will ich mit dem Velo von Basel nach Amsterdam fahren. Ich nehme mir aber vor, auch da möglichst wenig zu planen. Vielleicht bin ich zwei Monate weg, vielleicht drei. Ich will mir einfach so viel Zeit lassen, wie ich brauche. Darauf freue ich mich. Und ich hoffe, ich schaffe es auch. Dafür muss ich mich in den nächsten Wochen noch ein wenig kundig machen. Zum Beispiel will ich lernen, ein Velo zu flicken.

Und sonst gar nichts, was da lockt?

Ein renommierter Verlag hat mich angefragt, ob ich ein Buch schreiben möchte. Das hat mich sehr überrascht. Ich habe mir immer geschworen, niemals ein Buch zu schreiben. Wenn ich es nun dennoch tun sollte, dann bin ich mir in einer Sache jetzt schon sicher.

Welcher?

Dass es ganz bestimmt kein kirchenkritisches Buch wird! Die gibt's wie Sand am Meer. Sollte ich tatsächlich ein Buch herausgeben, dann müsste es mir beim Schreiben Freude machen und den Leserinnen und Lesern etwas geben, das sie aufbaut und nährt.

Ein solches Buch würde wohl viele überraschen, die nur die kämpferische Monika Schmid kennen.

Die Kirche ist mir ganz tief drin Heimat. Ich habe so viel Gutes in ihr erlebt. Und ja, vielleicht mögen es manche fast nicht glauben: Ich wollte immer und will es immer noch, dass die Kirche gross rauskommt. Und für eine neue Strahlkraft braucht es gar nicht so viel, davon bin ich überzeugt. Deshalb tut es mir so weh, wenn sich die Kirche selbst an die Wand fährt. Und deshalb kann ich einfach nicht schweigen.

Wie kamen Sie eigentlich nach Effretikon?

Nach meinem Studium in Luzern hatte ich das Gefühl, in der Kirche keinen Platz zu haben. Deshalb habe ich mir auch keine Stelle gesucht. Jakob Romer, damals Pfarrer in Effretikon, hat davon erfahren. Er musste eine Vakanz überbrücken und hat dafür mich angefragt. Ich dachte: «Das kann ich mir ja mal anschauen.» Als ich zu einem ersten Gespräch nach Effretikon fuhr, flog ich förmlich ins Pfarreisekretariat, weil ich den Hinweis «Achtung Stufe!» übersehen hatte. Die Sekretärin bat mich, etwas zu warten, weil Pfarrer Romer noch im Religionsunterricht sei. Sie hat sich gewundert, was ich als junge Frau aus dem schönen Luzern ausgerechnet in Effretikon wollte. Und sie hat mich auch gleich vor dem Pfarrer gewarnt, der sei im Fall ein ziemlich schwieriger.

Und dann?

Im Gespräch mit Jakob Romer hat mich sofort seine grosse Tiefe und seine menschenfreundliche Theologie überzeugt. Nachdem ich mich verabschiedet hatte, setzte ich mich noch in die Kirche. Und dort hat es mir endgültig den Ärmel reingezogen. Ich fühlte mich sofort wohl und irgendwie zuhause.

Sie stehen nun nach über dreissig Jahren am Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Sie haben einen Wunsch frei.

Schon als Kind habe ich mir vorgestellt, wie ich als alte Frau sein möchte. Und diese kindliche Vision habe ich immer noch: Ich möchte eine alte Frau sein, die ihre Fröhlichkeit bewahrt hat und eine innere Zufriedenheit ausstrahlt. Und ich wünsche mir, dass jene Menschen, die mir dann begegnen, im Altersheim oder wo auch immer, dass es diesen Menschen eine Freude ist, mir zu begegnen.

Text: Thomas Binotto