Therapeutisch wertvoll

Interview

Therapeutisch wertvoll

Was können tiergestützte Interventionen im psychologischen und medizinischen Kontext erreichen – und werden Tiere dabei nicht missbraucht? Expertin Karin Hediger gibt Auskunft.

Was können Tiere, was Menschen nicht können? 

Zu einem Tier können wir genauso eine Beziehung aufbauen wie zu einem Menschen. Doch das Tier hat keine Erwartung, kein Vorurteil, es bewertet nicht. Es ist ihm egal, ob wir leistungsfähig sind, wie wir aussehen oder welchen Status wir haben. Was für das Tier zählt, ist das Hier und Jetzt und wie wir im Moment mit ihm umgehen. Für viele Menschen ist das sehr wertvoll, weil sie in der Beziehung mit dem Tier ein anderes Angenommensein erleben.

Was bewirkt das in einer Therapie-Situation?

Es ist eines der menschlichsten, tiefsten Bedürfnisse, für ein anderes Lebewesen zu sorgen und so nützlich zu sein. In der Interaktion mit dem Tier wechseln unsere Patientinnen und Patienten die Rolle: Sie sind nicht mehr jene, die Hilfe benötigen, sondern jene, die jemandem etwas zuliebe tun können – und wenn es nur ein Rüebli ist, das sie dem Häsli geben. Den Patientinnen und Patienten diesen Rollenwechsel in der Beziehung mit uns Therapeutinnen und Therapeuten zu ermöglichen, wäre ungesund. Tiere können das daher besser als wir.

Dasselbe gilt wohl für Körperkontakt?

Genau, Tiere können Körperkontakt, Zärtlichkeit, Spontaneität in die Therapie-Situation bringen, ohne irgendwelche Assoziationen, die Menschen dabei haben können. Auch hier können wir Fachpersonen dies nicht geben, da wir in einer Machtposition sind. Bei Menschen mit minimalem Bewusstseinszustand, zum Beispiel im Wachkoma, merken wir, wie gut es ihnen tut, wenn unser Kater Findus ihnen einfach auf dem Bauch liegt. Unsere Studien zeigen, dass sich bei Gesunden dabei die Hirnströme verändern. Die Daten bei Menschen mit minimalem Bewusstseinszustand sind noch in Auswertung. 

Wird da nicht das Tier als Therapeut missbraucht?

Um beim Kater Findus zu bleiben: Er entscheidet selbst, ob er mit ins Krankenzimmer will. Wenn wir seine Transportbox öffnen, weiss er, dass es nun «an die Arbeit» geht. Wenn er will, steigt er hinein. Wir tragen ihn damit zur kranken Person. Dort öffnen wir das Türchen und er geht selbständig aufs Bett und legt sich hin. Wenn er keine Lust mehr hat, springt er wieder runter und geht in sein Kistchen, dann wissen wir, dass die Therapie-Einheit fertig ist, und gehen mit ihm hinaus. 

Nicht alle Menschen fühlen sich wohl mit Tieren ...

Natürlich arbeiten wir tiergestützt nur mit Menschen, die das wünschen und schätzen. Es ist kein Allerweltsmittel und zudem ein kostenintensiver Ansatz: Die Tiere müssen gepflegt und gefüttert werden, und es braucht zusätzliche Ausbildungen. Ich muss erkennen, wann sich ein Huhn oder ein Kaninchen gestresst fühlt, sonst kann ich nicht adäquat mit ihm arbeiten. Genau daran forschen wir: Wann bringt tiergestützte Therapie einen Mehrwert, wann nicht? Erst wenn andere Therapieformen nicht ans Ziel gelangen, sollen tiergestützte Interventionen eingesetzt werden.

Gibt es weitere wissenschaftliche Erkenntnisse?

Immer mehr Studien zeigen in die Richtung, dass Tiere therapeutisch wertvoll sind. Aber es ist ein junges, erst knapp 20-jähriges Forschungsgebiet. Potential zeigt sich da, wo Patientinnen oder Patienten kaum mehr aus dem Bett kommen. Oder bei Kindern, die in einer klassischen Therapie nicht mitmachen wollen. Da kann ein Tier wie ein Türöffner wirken: der Fokus verändert sich, gegenüber dem Tier kann sich das Kind öffnen. 

Text: Beatrix Ledergerber