Kalenderwahnsinn

Narrenschiff

Kalenderwahnsinn

«Früher war mehr Lametta!» – Das war 1978 als bei Familie Hoppenstedt am Weihnachtsabend ein Atomkraftwerk zum Eigenbau unterm Baum lag. Mit besten Wünschen von Loriot. 

Heute ist wieder ganz viel Lametta. Und das Atomkraftwerk wird wahrscheinlich irgendwo auf der Welt als Adventskalender verkauft.

Ich bin mir da fast ganz sicher, weil es einfach für gar alles einen Adventskalender gibt. Die Plastikbausteine aus Billund bringen es auf drei Kalendervarianten, die Plastikfigürchen aus Zirndorf sogar auf zwölf. Kein Spielzeughersteller, der nicht mindestens einen Adventskalender vertreibt. Wahrscheinlich steckt dahinter eine Allianz der Vernunft, die Milchzähne vor Karies bewahren will.

Unsere zweiten Zähne wurden nur deshalb nötig, weil wir uns Advent für Advent die Zähne mit süssem Tand ruiniert haben: Am 1. Dezember steckten Zückerli im Stoffbeutel, am 2. Gummibärchen, am 3. Schokolädli, am 4. Karamellbonbons, am 5. Kaugummi und am 6. – ein Hauch von Vernunft – zuckerfreie Erdnüsse. Der zahnschonende Effekt war allerdings gleich wieder dahin, wenn wir sonntags einen Batzen aus dem Beutel klaubten, den wir am Montag sogleich in Zückerli, Gummibärchen, Schokolädli, Karamellbonbons und Kaugummi verwandelten.

Nach der Spielzeugindustrie wurde der Gesamtindustrie klar, dass auch Erwachsene mit kindlicher Freude das Fest der Liebe ersehnen. Anfangs wurde ich noch mit Tee-Adventskalender beglückt, deren verrückteste Geschmackssorten ich gerne meinen Gästen angeboten habe.

Das war erst der Anfang, wie ich heute weiss. Lange konnte ich dem Parfum-Adventskalender ausweichen. Aber in diesem Jahr wurde ich mir meiner Fettleibigkeit schmerzlich bewusst, während ich mich in den Warenhäusern an all den Kalendern vorbeigequetscht habe: 24 Badezusätze, 24 Biersorten, 24 Bio-Saatgut-Böxli, 24 Heimwerker-Tools, 24 Anregungen fürs Liebesleben, 24 Irgendwas-für-Nirgendwen. Und obendrauf den Adventskalender für die Katz.

Im umsatzstärksten Onlineshop der Schweiz werden mir über 1000 Adventskalender in Aussicht gestellt. Darunter sogar ein paar popelige Pappkartons mit Bildchen hinter Türchen. 

Der Adventskalender-Wahnsinn überfordert mich kolossal. In diesem Jahr wurden mir sogar vier Adventskerzen zu viel. Eine einzige, pfundige ertrag ich grade noch. Und ich habe beschlossen, dass das mein Statement gegen die Klimaerwärmung ist, denn es ist doch sonnenklar, weshalb die Gletscher am Nordpol schmelzen: In den Werkstätten von Santa Claus wird einfach viel zu viel Energie für Adventskalender verbraten.

Text: Thomas Binotto