Es ist angerichtet

Leben in Beziehung

Es ist angerichtet

Erinnerung an ein Weihnachtsfest, an dem Technik vom Feinsten und ein Schuss Vergesslichkeit sich glücklich ergänzt haben.

In unserer Anfang der 70er-Jahre erstandenen Wohnung in Greifensee ist die Küche mit einem topmodernen Backofen der Marke Prometheus ausgestattet. Für Banausen in Sachen Küchengeräte: Prometheus war einstmals der Rolls Royce unter den Backöfen.

Zur Feier des Heiligabends besorgt meine treue Angetraute ein sündhaft teures Rindsfilet. Unser Rolls Royce konnte programmiert werden – eine totale Neuheit in jenen Zeiten. So erlebe ich, wie meine liebe Frau das Filet in den Backofen schiebt, dann mit der Betriebsanleitung in den Händen das technische Wunder programmiert. Anschliessend verreisen wir zum Weihnachtsgottesdienst.

Die Ruhe im alten, vertrauten Kirchlein tut mir unendlich gut. Die vergangenen Wochen haben mich in unserer Firma mit vielen Mitarbeitergesprächen, Kundenbesuchen, Jahresendfeiern bis an meine Grenzen in Anspruch genommen. Jetzt darf ich mich dem Frieden hingeben, der sich in meiner Seele ausbreitet.

Eine Stunde ist so vergangen. Dies ist üblicherweise die Dauer eines reformierten Gottesdienstes in Greifensee. Ein Blick auf den Zettel mit der Liturgie sagt mir aber, dass wir erst gut in der Mitte der Feier angelangt sind. Was heisst das für einen in Sachen Kochen zwar unbegabten, in Sachen Technik aber geschulten Kirchgänger? Bis zum Ende der Feier wird unser programmiertes Rindsfilet bis zu grau-schwarz durchgebraten sein!

Aufgeschreckt schaue ich meine liebe Frau von der Seite an. Sie ist versunken in sich selbst, achtet nicht auf meine Zeichen auf die Uhr. Während meine Unruhe sich stetig steigert, bleibt ihre Ruhe unerschütterlich. Ich halte das Warten kaum noch aus.

Endlich die Erlösung, die mir gestattet, ihr verzweifelt zuzuraunen: «Du, unser Rindsfilet!!» Was ihr lediglich ein nachsichtiges Lächeln abfordert, denn: «Weisst Du, mir kam in den Sinn, dass ich nach dem Programmieren vergessen habe, den Backofen einzuschalten.» Auch gutes Schwarzbrot, Käse, Salat und Trockenfleisch ist für mich ein würdiges Festessen. Mein Seelenfrieden meldete sich zurück. Und das Rindsfilet diente Tage später mit Freunden als Festessen.

Text: Hans Jörg Schibli