In der Krippe bleiben

Kaleidoskop

In der Krippe bleiben

Durch ein Hilfsprojekt für die Ukraine wird aus einer Krippt mehr also bloss weihnachtliche Dekoration.

Dieses Jahr hat eine besondere Krippe tiefe Bedeutung für unsere Familie erhalten. Das kam so: Gleich nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben meine Schwägerin und unsere Nichte mit ihren Partnern zusammen begonnen, Kontakte zu einer ukrainischen griechisch-katholischen Diözese in der Westukraine aufzunehmen. Sie fragen, was dort gerade an Hilfsgütern dringend gebraucht wird, sammeln diese und bringen sie mit Kleinbussen an die ukrainische Grenze. Dort werden sie von den Kontaktpersonen übernommen und in der Ukraine bis an die Front verteilt. Spontan hat unsere Familie sofort mitgeholfen, Güter zu sammeln und teilweise auch mitzufahren, 16 Stunden hin und gleich viele Stunden zurück, teilweise über Nacht, immer mindestens zwei fahrtüchtige Personen pro Fahrzeug.

Die Zeiten vor und während dieser Fahrten sind immer intensiv und in aller Tragik der Situation auch voll freudiger Überraschungen, wenn unerwartet Firmen Spitalgüter oder grosse Mengen an Kerzen spenden, wenn die Hilfe immer grössere Kreise zieht, immer mehr Menschen nicht nur etwas sammeln oder bringen, sondern viel persönliche Zuneigung in die Essenspakete oder sorgfältig gewaschenen Decken und Schlafsäcke mit einpacken.

Doch am meisten berührt hat die Crew bei der letzten Fahrt kurz vor Weihnachten das Geschenk von Ivan Kupar aus der Ukraine, der die Verteilung der Hilfsgüter im kriegsgeplagten Land koordiniert und leitet. Er sagte: «Ich kann euch nichts schenken als meine Zeit». Nicht dass er Zeit im Überfluss hätte, als ukrainischer griechisch-katholischer Priester in der Seelsorge für die leidenden Menschen und im Auftrag seiner Diözese für die Verteilung der Hilfe zuständig, ist er hoch beschäftigt. Und doch wollte auch er etwas schenken – und hat von Hand in langen Stunden eine Krippe geschnitzt, die er dem Team überreicht hat.

In dieser Krippe sind nicht nur Maria und Josef mit dem Kind, Ochs, Esel, Schafe und die drei Könige. Hier steht auch eine Frauenfigur mit einer Fahne in der einen und einem Herzen in der anderen Hand. Auf der Fahne steht das Motto der spontan entstandenen Hilfsorganisation: «Engagiert mit Herz».

Das Wort Sakrament kommt vom kirchenlateinischen Begriff «sacramentum» und bedeutet «sichtbares Zeichen der verborgenen Heilswirklichkeit». Die Figur in der Krippe ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass jedes «Engagement mit Herz» uns direkt in die Krippe hinein katapultiert, ganz nahe dem Göttlichen, das nicht in Worte zu fassen ist. Zu «Engagement mit Herz» gehören nicht nur konkrete Handlungen, sondern ebenso sehr Gebet, Hoffnung, inneres «nicht aufgeben», Gemeinschaft aufbauen und offen sein für mich selbst und für die anderen, da wo ich bin. Dazu gehören auch Erfahrungen des Scheiterns, der Mutlosigkeit, der Verzweiflung, Hilflosigkeit und Trauer. All das erlebt Ivan täglich.  Er hat dabei seine Krippe geschnitzt. All das erleben auch wir in anderer, viel weniger dramatischer Weise, aber auch real. Als Zeichen für all diese Erfahrungen, die in verborgener Weise zur «Heilswirklichkeit» gehören, steht diese Figur in der Krippe.

Auch wenn Weihnachten vorbei ist: Ich will in der Krippe bleiben. Mich mit meinem Sein hier zu wissen, gibt mir Kraft, um offen zu bleiben für das Leben und für das Heil, jeden Tag im neuen Jahr.

Text: Beatrix Ledergerber