Ein Haus mit Ausrufezeichen

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Ein Haus mit Ausrufezeichen

Die Jugendseelsorge im Kanton Zürich hat ein neues Zentrum. Sein Name «OMG!» ist Programm und Provokation zugleich: Oh my God! Rückschau und Ausblick zum Neustart.

«Junge Menschen und ihre Glaubenserfahrungen stehen im Mittelpunkt» steht auf dem Banner der Jugendseelsorge (Juseso) im Saal des neuen Hauses OMG! an der Birmensdorferstras-se 50 in Zürich. Quer durch den Saal spannen junge Erwachsene von der Kantonsleitung Jungwacht Blauring (Jubla) Zürich ein grosses Netz, das ihre Vernetzung mit verschiedenen Partnern symbolisiert – aber auch das «Auffangnetz», das sie den Jubla-Scharen bieten, die sich bei Problemen jeder Art an sie wenden können. In verschiedenen Räumen des neu gebauten Hauses zeigen junge Frauen von «Roundabout» coole Tanzmoves. Die beiden Pfadi-Zürich-Verantwortlichen stellen sich mit einem grossen Pfadfinder-Kochtopf vor und zeigen Zettel mit den Zahlen «9000, 2000, 80 und 1»: das sind alle Mitglieder, ehrenamtlich Leitenden, die Anzahl Abteilungen und das Sekretariat im Haus OMG!. Eine Kleiderstange mit Outfits vom Caritas-Secondhand-Laden im Parterre zeigt, dass das Haus nicht nur für junge Leute, sondern auch für Nachhaltigkeit steht. 

Während der Bauphase des vierstöckigen Hauses hing ein Megaposter am Baugerüst: «Wir bauen für die Jugend». «Wir» meint die beiden Eigentümer des neuen Hauses OMG!: Der Boden gehört der Körperschaft der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Der Neubau erfolgte durch die Albert-Niedermann-Hartmann-Stiftung als Baurechtnehmerin. Diese Stiftung bezweckt die Unterstützung gemeinnütziger Organisationen im Umfeld der Katholischen Kirche durch die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten zu einem vergünstigten Mietzins. 

Natascha Rüede, Jugendseelsorge-Leiterin, im neuen Haus OMG!. (Foto: Christoph Wider)

Im direkten Kontakt mit Jugendlichen

Am 6.  Oktober fanden sich alle Organisationen, die in diesem Haus untergebracht sind, zur Eröffnungsfeier zusammen. Man kennt sich im Haus: ausser dem Caritas-Secondhand-Laden waren schon vorher alle genannten Organisationen zusammen im Haus «Auf der Mauer 13» untergebracht. Ein charmantes altes Haus, das nun saniert wird. «Das Haus war für uns eine wahre ‹Quelle der Inspiration für Jugendarbeit›» erinnert sich Markus Holzmann, der bis 2012 elf Jahre für die Jugendseelsorge gearbeitet und diese in einer Übergangsphase auch geleitet hatte. «Das war mein Highlight: Die Gemeinschaft im Haus und der Austausch, die Inspiration von so vielen Fachpersonen im Bereich der Jugendpastoral.»

«Damals gingen viele junge Leute bei uns auf der Jugendseelsorge ein und aus», erzählt Holzmann. «Dank der Angebote wie der Aufgabenhilfe ‹move›, der psychologischen und der Berufsberatung und Social-Media-Prävention hatten wir direkten Kontakt zu den jungen Menschen.» Die spätere Auflösung dieser direkten Anlaufstellen für Jugendliche «hat mir das Herz gebrochen», sagt Holzmann. «Während Corona wurde offensichtlich, wie dringend notwendig eine niederschwellige, kostenlose psychologische Beratung für Jugendliche wäre!» Freude bereitet ihm dafür das «jenseits Im Viadukt», ein Projekt, das er unter dem Arbeitstitel «Kirche für junge Erwachsene» damals in den Anfängen begleitet hatte und das nun Begegnungen zu den Themenfeldern «Spiritualität, Kultur und Nachhaltigkeit» ermöglicht.


Offene kirchliche Jugendarbeit

Im Rahmen eines neuen Konzeptes waren 2017 die direkten Anlaufstellen aufgelöst worden, dafür regionale Animationsstellen für Kirchliche Jugendarbeit, die AKJ, gegründet. Schon vorher hätten die Mitarbeitenden der Juseso jeweils die Pfarreien einer Region im Blick gehabt und diese besucht, sagt Natascha Rüede. Nun bekamen sie eigene Büros in den entsprechenden Regionen. «Dass die Jugendseelsorge damit vor Ort aktiv die Pfarreien unterstützen kann, das ist gelungen. Die Begleitung und Beratung von den AKJ-Leitenden wird gut genutzt», resümiert sie aus heutiger Sicht. «Mit der Neuaufstellung sollte allerdings der Akzent vor allem auf die offene kirchliche Jugendarbeit gelegt werden», fährt sie fort. «Dabei engagieren sich die Jugendarbeitenden für junge Menschen ausserhalb der pfarreilichen Gruppen wie Jubla, Chöre, Ministranten usw. Ob die offene kirchliche Jugendarbeit durch die AKJ tatsächlich gestärkt wurde, da bin ich unsicher.» Das habe aber verschiedene Gründe. Einer davon ist sicher die Personal- und Ressourcenknappheit in den Pfarreien und damit verbunden eine hohe Fluktuation von Jugendarbeitenden.

Dem will die Jugendseelsorge nun entgegenwirken, und zwar auf zwei Ebenen. «Pfarreiliche Jugendarbeitende müssen wissen, wo ihr eigener Sitz im Glauben ist. Nur so können sie junge Leute glaubwürdig begleiten. Deshalb bieten wir bei uns im Haus OMG! spirituelle Begleitung für Jugendarbeitende an», erklärt Natascha Rüede. «In Form von regelmässigen persönlichen Gesprächen und Coachings mit Adrian Marbacher, der für den Fachbereich ‹Spiritualität› zuständig ist, oder mit Veranstaltungen, die auch zusammen mit dem ‹jenseits Im Viadukt› angeboten werden. Zudem möchten wir für Jugendarbeitende regelmässige, unterschiedliche spirituelle Erfahrungswelten eröffnen, damit sie ihre eigene Spiritualität kennenlernen oder festigen. Das ist wichtig, um Jugendliche und junge Menschen in ihrer Suche zu begleiten.» So wird die Jugendseelsorge zum Beispiel auch in der Fastenzeit wieder ein Format mit Impulsen, Bibeltexten und Austauschmöglichkeiten anbieten.

Zweiter Schwerpunkt: Die Jugendseelsorge stellt – vorerst nur für die Stadt Zürich – Jugendarbeitende an, die dann in verschiedenen Pfarreien engagiert sind. Möglich ist das durch eine Vereinbarung mit den involvierten Pfarreien. «Voraussetzung ist ein verbindliches Jugendkonzept, das auch eine Jugendkommission vorsieht, bestehend aus Mitgliedern des Seelsorgeteams, der Kirchenpflege, des Pfarreirats, aus jungen Menschen sowie dem oder der Jugendarbeitenden. So dass diese vor Ort von einem Team getragen sind», betont Natascha Rüede. «Wenn bisher zum Beispiel eine Jugendarbeitende im Mutterschaftsurlaub war, ist die Jugendarbeit in der entsprechenden Pfarrei schnell zum Erliegen gekommen. Jetzt können wir das auffangen, da wir einen Pool von Jugendarbeitenden haben, die ihre Arbeit sowieso pfarreiübergreifend verstehen und anbieten.» So sei ein Team von Jugendarbeitenden entstanden, die auch gemeinsam Projekte entwickeln und sich gegenseitig unterstützen. «Damit können wir die starke Fluktuation verhindern und die Jugendarbeitenden stärken, die sonst als Einzelkämpferinnen oder Einzelkämpfer manchmal an Wände gerannt sind.»


Bedingungslose Option 

Natascha Rüede, die jahrelange Erfahrung als Jugendseelsorgerin hat, ist überzeugt: «Es braucht eine bedingungslose Option für die jungen Menschen.» Die bisherigen pfarreilichen Angebote wie Firmweg, Ministranten, Jubla-Scharen oder Weltjugendtag-Gruppen genügten nicht – auch wenn diese gut und wichtig seien. «Wenn sich einige junge Leute in der Pfarrei engagieren, denken wir schnell, wir hätten schon viel gemacht. Aber echte Partizipation findet noch selten statt, es interessiert nur bedingt, was junge Menschen von der Kirche möchten und denken.» Der aktuelle synodale Prozess in der weltweiten Kirche biete die Chance, die Kirche von unten her zu erneuern: «Das würde bedeuten, eine Grundhaltung zu haben, welche alle, auch die jungen Menschen, in Entscheidungen einbezieht, und zwar bedingungslos, nicht erst, wenn sie ein gewisses Alter haben oder sonstige Voraussetzungen erfüllen», betont die Juseso-Leiterin. «Unsere Option muss sein: bedingungslos die jungen Menschen, ihr Weiterkommen im Glauben und ihren Einbezug in die Kirche fördern.»

Deshalb hat sich die Jugendseelsorge Zürich für die nächsten zwei Jahre das Thema «Partizipation» auf die Fahnen geschrieben. Das Team wird in den nächsten Monaten eine konkrete Methode für Pfarreien entwickeln, bei welcher Partizipation in einem definierten Rahmen erprobt werden kann. 

Das freut auch den ehemaligen Juseso-Mitarbeitenden Markus Holzmann. Aus seinen heutigen Erfahrungen als Spitalseelsorger und Coach weiss er, dass Jugendliche «verlässliche Partner und Partnerinnen brauchen, die zuhören können, sie in wichtigen Lebensfragen beraten und unterstützen und in ihnen die Sehnsucht nach einer lebensbejahenden und angstfreien. Spiritualität wachhalten.» Und so wünscht er der Jugendseelsorge, dass vom neuen Standort aus «ganz viele inspirierende, spirituelle  und kreative Impulse  für die kirchliche Jugendarbeit ausgehen. Möge der neue Ort wieder, ähnlich wie es das Haus ‹auf der Mauer 13› viele Jahre lang war, zu einem Kompetenzzentrum für Jugendarbeit im Kanton Zürich und in der Deutschschweiz werden.» 

Text: Beatrix Ledergerber