«Wir wollen Anerkennung»

Weltgebetstag

«Wir wollen Anerkennung»

Das Land, aus dem die diesjährige Weltgebetstag-Liturgie kommt, gibt es offiziell gar nicht: Taiwan wird nur von wenigen Ländern anerkannt und hat keinen Sitz in der UNO. 

«Taiwan hat sich zu einer Demokratie entwickelt. Wir haben Freiheiten!» Stella L’Homme, in ihrer Heimat Kuo Fang-Chun genannt, engagiert sich mit Begeisterung und Energie für die demokratisch-unabhängige Identität ihres Landes und ihrer Landsleute, die wie sie heute in der Schweiz leben. Als Weltgebetstag-Botschafterin hat sie schon viele Vorträge über Taiwan gehalten, und als Co-Präsidentin des Vereins Ananasli engagiert sie sich als Kulturvermittlerin vor allem für schweizerisch-taiwanische Familien. 

Mit ihrer Familie kam Stella L'Homme 2013 von Taiwan in die Schweiz. Die Unidozentin für Sprachen produzierte vier taiwanische Kinderwimmelbücher, arbeitet als Co-Autorin und Editorin für Lehrbücher und wird als Referentin an Konferenzen von Sprachlehrerinnen eingeladen. Mandarin (Hochchinesisch) sei gar nicht so schwierig, meint sie und lacht. Ausserdem sei Taiwan wie die Schweiz viersprachig: Nebst Mandarin gibt es auch «Hakka» und Taiwanisch, beide verwandt mit Sprachen von Südost-China. Die vierte Landessprache sei eine Summe der Sprachen von mehr als 12 indigenen Stämmen Taiwans. 

Was kann die Schweiz von Taiwan, dieser kleinen, unweit vor der Küste Chinas zwischen Japan und den Philippinen liegenden Insel lernen? «Taiwan hat sich eine gesellschaftliche und politische Offenheit erarbeitet. Es ist eines der ersten Länder – das erste in Asien – das gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt. Und es ist ein Vorreiter im Bereich der digitalen Demokratie. Die Schweiz darf sich von dieser positiven, zukunftsgerichteten Energie und Dynamik inspirieren lassen», sagt Stella L’Homme in perfektem Deutsch. 


Verantwortung der Religion

Sie ist in einer vom Taoismus geprägten Familie aufgewachsen, besuchte aber die Katholische Universität, wo sie unter anderem Germanistik studierte. So kam sie zu «Bethlehem Mission Immensee» – heute «Comundo» – wo sie die Projektarbeit in Taiwan leitete. Die christlichen Kirchen beeindrucken sie durch ihr soziales Engagement. «Diese Entwicklung fehlt in Taiwan. Die Religion übernimmt keine gesellschaftliche Verantwortung.»

Sie liebt religiöse Feiertage, die gebe es in Taiwan nicht. «Advent und Weihnachten zeigen, dass die Religion tief verwurzelt ist!». Sie arbeitet aktuell für ein Wimmelbuch mit taiwanischen Szenen, das die christlichen Feste thematisiert. Es wird als Projekt des Weltgebetstages unterstützt, in Taiwan produziert und über christliche Organisationen dort an Familien verschenkt.


Nicht anerkannt

«Taiwan ist ein eigenständiges Land», unterstreicht die feingliedrige, energische Frau. Nachdem die Kommunistische Partei Chinas im chinesischen Bürgerkrieg die Herrschaft über Festlandchina errungen und dort die Volksrepublik ausgerufen hatte, zogen sich 1949 die unterlegenen Kuomintang, welche bis dahin die Republik China (1912–1949) regierten, auf die Insel Taiwan zurück. Seither heisst Taiwan offiziell «Republik China». Die heutige Volksrepublik China betrachtet Taiwan, obwohl sie die Insel selbst nie beherrscht hat, als «unabtrennbaren Bestandteil des chinesischen Territoriums», während sich die «Republik China» auf Taiwan als souveränen Staat sieht, aber nur von wenigen Ländern als solcher anerkannt wird, da niemand die diplomatischen Beziehungen mit Festland-China aufs Spiel setzen will. 

Das Christentum kam im 17.  Jahrhundert mit der niederländischen und spanischen Kolonialisierung auf die Insel. Es ist mit heute 6,5 Prozent eine Minderheitsreligion neben Buddhismus, Taoismus und anderen Religionen. Taiwan hat in der Weltrangliste einen Spitzenplatz bezüglich religiöser Vielfalt und Religionsfreiheit.

Text: Beatrix Ledergerber