Der Synodale Prozess muss gelingen

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Der Synodale Prozess muss gelingen

Helena Jeppesen-Spuhler benennt offen die Chancen und Herausforderungen des Synodalen Prozesses. Sie war Mitglied der Schweizer Delegation an der europäischen Versammlung, die vom 5. bis 9. Februar in Prag stattfand.

Mit etwas Abstand zur Versammlung in Prag: Was ist Ihr Fazit?

Helena Jeppesen-Spuhler: Gemischt. Einerseits ist in Europa in der katholischen Kirche etwas in Bewegung gekommen und der Dialog wurde trotz weit auseinanderliegenden Positionen möglich. Andererseits bleibt die – auch ernüchternde – Frage: Und jetzt?

Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Prag gefahren?

Mit einer sehr pragmatischen Haltung. Dennoch war es heftig, diese Spannungen zu erleben. Es gab aber auch grossartige Begegnungen mit Menschen, die theologisch ausserordentlich fundiert unterwegs sind.

Woher kam der Widerstand?

Es gab konservative Vertreter, die ehrlicherweise hätten eingestehen müssen: Wir wollen den Synodalen Prozess gar nicht. Aber das haben sie sich nicht getraut, weil sie wussten, dass sie sich damit auch beim Papst aus dem Spiel genommen hätten. Also haben sie mitgemacht, haben jedoch versucht, so viel wie möglich vom Bestehenden zu erhalten.

Lässt sich die Linie zwischen traditionalistisch und reformwillig geografisch verorten?

Die Linie verlief hauptsächlich an der Grenze zwischen West- und Osteuropa. Die osteuropäischen Ortskirchen haben mehrheitlich sehr konservative, fast ausschliesslich mit Klerikern bestückte Delegationen geschickt. Die haben beispielsweise betreffend Familienbild und Sexualmoral extrem rückwärtsgewandte Positionen aus dem vorletzten Jahrhundert vertreten. Aber sogar dort gab es interessante Ausnahmen. Zwei Frauen aus der serbischen und eine Frau aus der russischen Delegation haben uns gegenüber offen zugegeben, dass die jungen Menschen in ihren Ländern die traditionalistische Haltung ihrer Bischöfe ebenfalls in Frage stellen. Aber die Frauen haben sich nicht getraut, das auch gegenüber ihrer Delegation zu sagen.

Woher kommt diese Differenz zwischen Ost und West?

Der geschichtliche Hintergrund spielt eine wichtige Rolle. Diese Kirchen konnten sich hinter dem Eisernen Vorhang über Jahrzehnte hinweg nur durch starke Abgrenzung halten. Ich vermute, daher kommt auch diese Verhaftung in traditionellen Bildern und das Bedürfnis, so kompromisslos in Wahr und Falsch zu unterscheiden.

Was hat Sie am meisten gestört?

Wie selten theologisch argumentiert wurde. Das war teilweise dramatisch. Das muss sich bis zur Synode in Rom verändern. Es ist ja toll, wenn man verschiedene Meinungen sammelt. Aber irgendwann muss man dann doch darauf bestehen, dass die Positionen auch theologisch fundiert begründet werden.

Wie verliefen die Gespräche?

Zu Beginn gab es riesige Spannungen. Durch die Berichte der Bischofskonferenzen waren die Positionen wie gesetzt und so konnten wir zunächst gar nicht richtig diskutieren. In den Arbeitsgruppen wurde mit der Methode des geistlichen Gesprächs gearbeitet, das stark vom gegenseitigen Zuhören geprägt ist. Damit wurden kontroverse Diskussionen praktisch verhindert. Rückblickend hatte das aber auch den einen Vorzug, dass die Zerrissenheit allen bewusst wurde. In meiner Gruppe beispielsweise hätten die Pole kaum weiter auseinanderliegen können.

Und dann?

Wir mussten unsere Differenzen stehen lassen: Ich, Helena, bin für die Ordination der Frauen – der Vertreter des Opus Dei ist total dagegen. Durch die Anerkennung der Differenz löste sich die Spannung am dritten Tag. Für mich der grösste Erfolg der Versammlung war, dass von Seiten der Bischöfe kein eigenes Papier vorgelegt wurde.

Weshalb ist das ein Erfolg?

Die Bischöfe haben am Ende zwei Tage lang allein getagt, was bei uns Laien gar nicht gut ankam. Nicht einmal als Beobachterinnen und Beobachter wurden wir zugelassen. Meine Angst war, dass die Bischöfe nun ein Papier verfassen würden, in dem sie festlegen, in welchem Rahmen überhaupt weiterdiskutiert werden darf. Und diese Gefahr bestand tatsächlich. Glücklicherweise – auch dank dem starken Einsatz von Bischof Felix Gmür – ist es dann nicht geschehen. Die Bischöfe haben in einem knappen Statement lediglich festgehalten, dass sie den Synodalen Prozess unterstützen und das Schlussdokument der Versammlung ernst nehmen.

Was erwarten Sie von diesem Schlussdokument?

Es wurde uns bislang erst im Entwurf vorgelesen, aber es sind darin starke Positionen enthalten, beispielsweise was die Ordination der Frauen betrifft. So etwas haben die Bischöfe und auch der Vatikan bislang immer zu verhindern versucht. Ich hoffe sehr, dass diese Positionen auch in der definitiven Fassung genauso klar vorgetragen werden.

Wo erwarten Sie am ehesten Bewegung?

In ungefähr 90 % der Berichte aus ganz Europa wurde festgehalten, dass die Frage der LGBTQIA+ sehr ernst genommen werden muss. Es geht um Menschen, die Teil der Kirche sind und einen Anspruch auf Teilnahme haben. Ebenso deutlich war das Bild zur Rolle von Frauen. Auch hier wurde praktisch in allen Länderberichten deutlich, dass die Kirche endlich vorwärtsmachen muss.

Wie wurden diese Themen an der Versammlung aufgenommen?

Von den 200 Delegierten in Prag waren ungefähr die Hälfte Kleriker. Mit diesen Mehrheitsverhältnissen wäre eine Reaktion bestimmt sehr zurückhaltend ausgefallen. Es war deshalb ein Glück, dass am Mittwochnachmittag die Voten der Online-Delegierten eingebracht wurden. Damit wurde der Horizont nochmals massiv erweitert und auch die Dringlichkeit der Anliegen verstärkt. Da wurde viel kritischer und offener gesprochen. Daran können die Bischöfe nicht vorbeisehen.

Und was wird nun daraus bei der Bischofsynode im Herbst?

Ich glaube – und hoffe inständig –, dass in der Frauenfrage etwas möglich sein wird. Da gibt es inzwischen eine Vielzahl von Bischöfen, die zu klaren Schritten bereit sind. Es wird nicht gleich das Priestertum der Frau eingeführt werden, aber das Diakonat der Frau dürfte bei der Versammlung in Rom ernsthaft zur Diskussion kommen. Und auch die Mitsprache und das Mitstimmen von Frauen bei dieser Versammlung. Wir müssen momentan mit solchen Teilresultaten zufrieden sein und gleichzeitig hartnäckig weiterarbeiten. Was wir aus Schweizer Sicht möchten, ist derzeit leider nicht im vollen Umfang möglich.

Die Schweizer Delegation an der Versammlung in Prag: Helena Jeppesen-Spuhler, Tatjana Disteli und Bischof Felix Gmür. (Foto: Schweizer Bischofskonferenz)

Wie haben Sie Bischof Felix Gmür erlebt?

Bischof Felix hat sich als Teil unserer Delegation verstanden. Wir sind glaubwürdig gemeinsam aufgetreten. Hilfreich war dabei, dass er viele Bischöfe kennt und sprachlich sehr gewandt ist. Bischof Felix hat den Schweizer Bericht ohne Wenn und Aber vertreten. Diese Klarheit wurde, soweit ich das beurteilen kann, sehr geschätzt. 

Wie erging es der deutschen Delegation, nachdem kurz vor der Versammlung ihr Synodaler Weg vom Vatikan heftig attackiert worden war?

Die deutsche Delegation war in einer sehr schwierigen Situation. Sie wurde zu Beginn regelrecht angefeindet. Im Vorfeld wurden offenbar Delegationen aus Osteuropa aufgewiegelt, wir Westeuropäer und ganz besonders die Deutschen hätten eine Agenda. Im Laufe der Versammlung wurde aber immer klarer, dass die Anliegen des Synodalen Wegs in ganz vielen 
anderen Länderberichten genauso auftauchen.

Und wie hat die deutsche Delegation auf die Anfeindungen reagiert?

Sie waren stark. Bei weitem die professionellste Delegation. Uns allen auch theologisch und im Synodalen Prozess weit voraus. Ich glaube, gerade deshalb schlug ihnen teilweise schlicht Neid entgegen. Und antideutsche Reflexe brachen auf. Zum Glück gab es noch andere starke Delegationen, beispielsweise aus Luxemburg, Malta und Irland. Auch wir Schweizer und die österreichische Delegation haben die Anliegen des Synodalen Wegs überzeugend unterstützt. Und teilweise ist es uns tatsächlich gelungen, bei manchen Delegationen das Eis zu brechen.

Wo waren die anderen grossen Ortskirchen?

Italien wurde gar nicht wahrgenommen. Ihr Bischof kam erst am Donnerstag, was ja auch etwas aussagt. Frankreich hat einen guten Bericht vorgelegt, der Bischof von Troyes und die beiden Frauen waren sehr überzeugend, der Präsident der französischen Bischofskonferenz allerdings ist sehr konservativ. Insgesamt beobachte ich in Frankreich eher eine konservative Tendenz.

Welche Fragen bleiben?

Gibt es nächstes Jahr eine Folgeversammlung auf europäischer Ebene? Haben wir überhaupt die Ambition, auf diesem Weg weiterzugehen? Ich halte das für notwendig, aber dann müssten wir wohl eine westeuropäische und eine osteuropäische Versammlung machen, damit wir unsere jeweiligen Aufgaben auch ernsthaft anpacken können und nicht Gefahr laufen, uns gegenseitig zu blockieren.

Wie viel Zeit bleibt noch?

Die Kirche steckt in ganz Europa tief in der Krise. In ganz Europa! Obwohl einige Delegationen das zu Beginn noch leugnen wollten, ist es im Laufe der Gespräche immer klarer geworden. Ich glaube, nun sehen endlich alle ein, wie dramatisch die Situation ist. Es braucht den Synodalen Prozess und es braucht eine neue Art der Zusammenarbeit. Allerdings: Es eilt. Und es braucht Spielregeln. Einfach nur zuhören, aber dann nicht abstimmen und auch nicht entscheiden, das hilft nicht weiter.

Und was hilft weiter?

Felix Gmür setzt sich sehr dafür ein, dass der Weg für dezentrale Lösungen frei gemacht wird, damit beispielsweise die Frauenfrage in den Ortskirchen angepackt werden kann. Die Theologin Petra Steinmair-Pösel aus Innsbruck hat in einem Statement «Probierräume» gefordert. Das kam in der Versammlung gut an. Ähnlich klingt es übrigens auch aus der Amazonas-Synode.

Was erwarten Sie von Papst Franziskus?

Papst Franziskus steht eigentlich für dezentrale Lösungen, aber er muss nun endlich klar Position beziehen, klare Spielregeln festlegen und auch unbequeme Entscheidungen fällen. Nicht nur aus Europa, auch aus Lateinamerika höre ich deutlich, dass er jetzt vorwärtsmachen muss. Das ist auch deshalb wichtig, weil es beispielsweise von Kardinal Marc Ouellet und seinen Seilschaften heftigen Widerstand gibt. Die für den Synodalen Prozess zuständigen Kardinäle Mario Grech und Jean-Claude Hollerich werden von traditionalistischen Kreisen unablässig angegriffen, obwohl sie vom Papst beauftragt wurden.

Mit welchem Gefühl sind Sie in die Schweiz zurückgekehrt?

Ich bin gestärkt nach Hause gegangen, aber auch mit dem Bewusstsein, dass wir weiterarbeiten müssen. Wir müssen als Delegation unbedingt eine Rückmeldung an das Synodenbüro machen, gerade im Hinblick auf die Weltsynode. Und wir müssen auch hier in der Schweiz vorwärtsmachen. So viele Menschen sind resigniert, selbst jene, die im Herzen der Kirche stehen und arbeiten. Es reicht nicht, wenn wir nur lau mitmachen. Auch in der Schweiz müssen wir eine neue Dynamik hinbringen. – Einfach wird das nicht. – Aber: Es ist unsere letzte Chance!

Text: Thomas Binotto