«Man könnte die Altarsteine öffnen»

Interview

«Man könnte die Altarsteine öffnen»

Anna Barbara Müller, Kuratorin des Domschatzmuseums in Chur, über den Fund der beiden Altarsteine in der Pfarrei in Dielsdorf.

Haben Altarsteine einen Seltenheitswert?
Im Bischöflichen Ordinariat in Chur haben wir einige gelagert. Dass sie allerdings einfach in einer Sakristei gefunden werden, offenbar nach langer Zeit, davon hatte ich bislang noch nie gehört.

Gibt es Erfahrungen, was man mit einem solchen Fund machen könnte?
Es gibt einen Bericht von der Kirche Bürglen TG, in der ebenfalls ein Altarstein gefunden wurde. Dort hat man offenbar das «Sepulcrum» geöffnet.

Was bedeutet das?
«Sepulcrum» heisst übersetzt «Grab». So nennt man dieses kleine, oftmals schwarze Kästchen in der Mitte des Altarsteins. Dort sind in der Regel Reliquien eingesetzt, «begraben» sozusagen. Im Fall Bürglen war das tatsächlich so: Es wurden darin Reliquien gefunden sowie ein zusammengefaltetes Zettelchen, auf dem sie beschrieben waren.

Gehen Sie davon aus, dass es bei den Dielsdorfer Altarsteinen auch so sein könnte?
Ja. Es wäre allenfalls ein möglicher nächster Schritt, die Steine sorgfältig und fachkundig zu öffnen und nachzusehen, was darin verborgen ist. Die Reliquien dürften aber nicht entfernt werden, da der Stein sonst seine Weihe verlieren würde.

Gäbe es noch einen anderen Weg, herauszufinden, ob darin Reliquien sind und wenn ja, welche?
Nein – ausser man würde im Pfarreiarchiv Dielsdorf die Weiheurkunden der Steine finden.

Welche Bedeutung haben Reliquien bei uns im Bistum Chur?
In jedem fest installierten und geweihten Altar sind Reliquien von Märtyrern oder von Heiligen eingelassen, und zwar im sogenannten «Altar-Sepulcrum». Reliquien sind – und das gilt natürlich auch hier bei uns – seit dem 8. Jahrhundert nötig, wenn ein Altar geweiht werden soll.

Warum ist das so?
Bereits in der Urkirche entstand der Brauch, sich an Gräbern von Märtyrern zu treffen, um dort miteinander das Gedächtnis Christi zu halten. Nicht nur, weil die Christinnen und Christen in dieser Zeit verfolgt wurden und sich in Grabhöhlen besser verbergen konnten. Sondern auch, weil Märtyrer Menschen waren, die für ihren Glauben in den Tod gegangen waren und insofern als Vorbilder galten. Später ging man dann dazu über, kleine Teile der Knochen oder der Kleidung der Verehrten in kostbare Gefässe zu fassen und an andere Orte zu bringen, damit dort sozusagen ebenfalls ein Märtyrergrab entstand, über dem die Eucharistie gefeiert werden konnte.

Könnten die Altarsteine in Dielsdorf heute wieder verwendet werden?
Durchaus. Wenn es zum Beispiel einen Altar gibt, der nicht fix installiert ist – oder wenn in einen der fixen Altäre keine Reliquien einge-lassen sind. Dann könnte jeweils ein Altarstein daraufgelegt werden.

Was meinen Sie: Gehören die beiden Altarsteine nun eher ins Bischöfliche Ordinariat nach Chur – oder gehören sie zurück in die Pfarrei?
Bei uns in Chur würden sie zwar gut verwahrt werden. In diesem Fall fände ich es allerdings schade, wenn die Steine auf diese Weise wieder «verschwinden» würden. Ich würde eher sagen, sie gehören in die Pfarrei. Sie wurden ja wahrscheinlich für diese Pfarrei angefertigt und sollten dort würdig aufbewahrt werden, am besten in der Sakristei. Bestimmt liessen sie sich auch katechetisch verwenden: Man könnte mit ihnen die Bedeutung eines Altars erklären und warum Reliquien darin sind, oder man könnte anhand der eingemeisselten Zeichen und Symbole den Ritus einer Altarweihe verständlich machen. Das wäre doch ein Gewinn.

Text: Veronika Jehle