Meine kindliche Vorstellung war schlicht und einfach: Die Guten kommen in den Himmel – die Bösen in die Hölle. Und natürlich hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung von Gut und Böse. Zusammengefasst: Ich lande im Himmel und meine Feinde in der Hölle.
Inzwischen fällt mir sogar die Definition eines Feindes oder einer Feindin schwer. Ich glaube, echte Feindschaft ist noch schwieriger aufzutreiben als echte Freundschaft. Mir macht niemand das Leben zur Hölle. Echten Hass habe ich zum Glück noch nie erlebt.
Und doch ertappe ich mich immer wieder bei Vergeltungsphantasien, die ich mir als ausgleichende Gerechtigkeit schönrede. Ich wünsche dann all jenen, die hier auf Erden das Leben schwer machen, im Jenseits umso mehr Probleme. Kann doch nicht sein, dass selbst jene, die Menschen quälen und ausbeuten, ein sorgenfreies Jenseits-leben führen werden. Und all jene, die über Leichen gingen und gehen, die kann ich mir beim besten Willen nicht im Himmel vorstellen.
Allerdings wird mir bei diesen Gedanken bewusst, dass ich mir das Jenseits mehr oder weniger als Weiterführung des Diesseits vorstelle. Bestenfalls unter veränderten Vorzeichen. Und so begreife ich auch, wie es zur Installation eines Fegefeuers kam. Dieses ist nichts anderes als die Verlängerung unseres irdischen Ringens um ein gutes Leben. Der Tod wird somit zum Tor ins ewige Weiterkämpfen – keine tröstliche Vorstellung.
Wie es tatsächlich sein wird nach dem Tod, das weiss niemand, auch nicht jene Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben. Uns allen bleiben also nur menschliche Vorstellungen, Wünsche, Hoffnungen.
Ich hoffe auf ein Jenseits als Spiegel. Allerdings nicht einer, in dem die neue Sicht bloss eine Spiegelung ist. Ich stelle mir einen Spiegel als Durchgang vor. Alles geht irgendwie zusammen mit mir durch den Spiegel und wird doch grundlegend verändert. Eine radikale Verwandlung meiner Sicht auf alles scheinbar Vertraute. Damit ich endlich jene fundamentale Gutheit der Schöpfung sehe, die ich bislang nur glauben und ahnen kann.
Wie werde ich nach diesem Durchgang mich selbst sehen? Ich, der mit sich selbst nie ganz zufrieden ist. Ich, der sich so oft selbst im Weg steht. Ich, der sich in seinen dunkelsten Stunden der ärgste Feind ist. Meine tiefste Hoffnung ist Versöhnung. Ich hoffe, dass alle menschlichen Kategorien, auch Freundschaft und Feindschaft, in ganz neue Kategorien verwandelt werden.
Und wenn ich nun bereits in diesem Leben mit der Versöhnung anfangen würde? Dann kann ich nur gewinnen, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es kein Jenseits gibt.