Dokumentarfilm bricht Schweigen: Wie ein Priester in den 50er Jahren mehrfachen Missbrauch trieb.

Film im Kino

Dokumentarfilm bricht Schweigen: Wie ein Priester in den 50er Jahren mehrfachen Missbrauch trieb.

Sechs Geschwister lernen sich erst am Begräbnis ihres Vaters kennen.  Dieser war katholischer Priester und hat in den Fünfzigerjahren mehrere Frauen geschwängert. Nun bricht ein Dokumentarfilm das Schweigen.

«Warum hat sie nie darüber geredet», fragt Lisbeth und weint. Die Siebzigjährige sitzt mit ihrem Mann auf dem Sofa in ihrer Stube. Im Fernseher schauen sie eine Szene aus dem Dokumentarfilm «Unser Vater» von Miklós Gimes. Da versucht Lisbeths hochbetagte Mutter zu er-klären, was ihr Anfang der Fünfzigerjahre widerfahren ist. Damals, als Anton Ebnöther die Pfarrköchin «genommen, erdrückt und weggeworfen» hatte. Beschämt beschreibt Lisbeths Mutter die Vergewaltigung.

Anton Ebnöther war katholischer Priester und zeugte mit vier Frauen sechs Kinder. Es gebe Hinweise, dass es noch mehr seien, sagt der Filmemacher Miklós Gimes. «Für die einen seiner Kinder ist Anton Ebnöther eine Art Vater, für die anderen lediglich der Erzeuger. Seine Verantwortung hat er bei allen Kindern nicht wahrgenommen. Und einige leiden heute noch am Tabu, das Kind eines katholischen Priesters zu sein.»

Vor sechs Jahren, als Lisbeth ihn für das Filmprojekt gewinnen wollte, war Gimes zunächst skeptisch. Von der katholischen Kirche, von Religion verstehe er wenig, sagte sich der Filmemacher damals. Er selbst sei säkular, seine Vorfahren assimilierte ungarische Jüdinnen und Juden. Inzwischen habe er viel gelernt über die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral, dem Zölibat, den Geheimnissen und dem Schweigen. Genau diese Geschichte wollten die Geschwister erzählen, Gimes half ihnen dabei.

Wie eine Zeitreise in die Fünfziger- und Sechzigerjahre der Schweiz sei die Filmarbeit gewesen. «Ich habe gesehen, wie viel psychischen Druck die Kirche damals auf ihre Mitglieder ausüben konnte. Statt sich zu wehren, haben sich die meisten Menschen unterworfen, wohl aus Angst, ausgeschlossen zu werden oder in der Hölle zu landen.»

Gimes konstruiert das Bild des abwesenden Vaters durch die Erzählungen von Anton Ebnöthers Kindern und ergänzt sie mit Audioaufnahmen und Fotografien. Über dessen Vergangenheit erfahren wir nichts. Kein Psychogramm habe er erstellen, keine Erklärungen abgeben wollen, sagt Gimes.

Der Film beginnt mit den krosenden Audioaufnahmen Anton Ebnöthers, die er selbst mit seinem Kassettengerät gemacht hatte. Mit vibrierender Bassstimme besingt er seine Heimat und Gottes wunderbare Wege. Je mehr wir über den Priester mit der ungezügelten Libido erfahren, desto skurriler und unheimlicher werden die Lieder. Denn der Mann, der mit gezwirbeltem Schnauz keck von einem Foto lacht, ist kein komischer Kauz, sondern ein Vergewaltiger.

Monika ist die Drittjüngste unter den Geschwistern. Ihre Mutter kam damals als Blauring-Leiterin ins Pfarrhaus zu Anton Ebnöther, wo dieser sie vergewaltigte. Als sie ihn schwanger um Hilfe bat, speiste er die junge Frau mit 200 Franken in einem Couvert ab. Sie solle damit machen, was nötig sei. Der Priester erhoffte sich wohl, sie würde das Kind abtreiben. Monikas Mutter kaufte sich vom Geld Wolle und begann für ihr Ungeborenes zu stricken.

Aber nicht allen Frauen hat Anton Ebnöther Gewalt angetan. Toni und Christina waren Wunschkinder ihrer Mutter. Weil sie von ihrem Mann nicht schwanger wurde, half Pfarrer Anton Ebnöther aus. Die Mutter von Daniela und Adrian hatte Anton Ebnöther gern und verteidigte den abwesenden Vater vor ihren Kindern ein Leben lang. Heute sieht sie ihn mit kritischen Augen.

Es ist eine Qualität des Filmes, dass Miklós Gimes Anton Ebnöther nicht als Monster zeichnet, sondern die vielen Widersprüche dieser Missbrauchsgeschichten stehen lässt. Das ist bisweilen schwer auszuhalten. Gleichzeitig wird verständlich, wie solche Gräuel passieren: wenn Menschen in Gottes Namen ihre Macht missbrauchen, die Abhängigkeit anderer Menschen ausnützen und darauf vertrauen können, dass nicht gesagt wird, was nicht sein darf.

Etwas verunsichert lassen einen die Szenen auf dem bischöflichen Schloss zurück. Dort empfängt Joseph Maria Bonnemain, der Bischof von Chur, die Geschwister zu einer erneuten Aussprache. Sie gelangten schon vor den Dreharbeiten an Bischof Bonnemain, als dieser noch Justiziar des Bistums war, um Einsicht in die Akten ihres Vaters zu erhalten. Nun sitzen die Geschwister um eine grosse Tafel, die Türe geht auf wie bei einem Schwank. Auch der Auftritt des Bischofs entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität. Unverständlich bleibt, dass er als Mitglied des bischöflichen Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld in dieser Runde den Pflichtzölibat verteidigt. Ist das der Mann, der dem sexuellen Missbrauch in der Kirche den Kampf angesagt hat? Immerhin redet Bischof Bonnemain im Film über den sexuellen Missbrauch und entschuldigt sich im Namen der Kirche.

Text: Eva Meienberg  Redaktorin «Horizonte Pfarrblatt Aargau»