Impuls zum Osterfest: Mit Händen zu greifen

Festbeitrag von Felix Reich

Impuls zum Osterfest: Mit Händen zu greifen

Karfreitag steht in der Zeitung und flimmert über die Bildschirme: Seit über einem Jahr tobt in der Ukraine ein brutaler Angriffskrieg. – Und auch an Ostern wird nicht einfach alles gut.

In Russland werden Oppositionelle verhaftet und Menschenrechtsorganisationen drangsaliert. In Belarus hält sich ein Wahlfälscher mit stalinistischer Härte an der Macht. In Iran werden Proteste blutig niedergeschlagen und junge Frauen vergiftet. In Afghanistan dürfen Mädchen nicht zur Schule, Armut knechtet die Bevölkerung. Und in Nordsyrien zerstört ein Erdbeben, was in den Trümmern eines blutigen Bürgerkriegs noch einigermassen heil geblieben war. Karfreitag ist mit Händen zu greifen. Die Logik der Macht und der Gewalt zieht ihre Blutspur durch die Welt.

An Ostern wird nicht einfach alles gut. Die Spuren der Folter und Gewalt bleiben. Christus aufersteht verwundet. Die Auferstehung selbst bleibt eine Leerstelle. Die Bibel beschreibt sie nicht, erzählt wird lediglich vom leeren Grab. Wer an die Auferstehung glauben will und daran, dass die Welt nicht in Tod und Vergeltung, Unrecht und Ausbeutung gefangen bleiben muss, vertraut sich einem Geschehen an, für das es offenbar keine grellen Bilder gibt. Und einem flüchtigen Ereignis: Ostern lässt sich nicht festhalten. Als die in ihrer Trauer gefangenen Jüngerinnen und Jünger den Auferstandenen erkennen, weil er das Brot bricht und vom Fremden zum Gastgeber wird, ist er schon «nicht mehr zu sehen» (Lk 24,31).

Vielleicht lassen sich Ostermomente manchmal tatsächlich erst im Rückblick als das erkennen, was sie sind. Die Karfreitagsbilder vermögen sie ohnehin nicht zu tilgen. Dennoch gibt es sie: Etwa, wenn im noch immer kriegsversehrten Aleppo muslimische Familien nach dem Erdbeben Schutz und Hilfe finden in den Kirchen der christlichen Minderheit. Oder wenn in Iran Männer für die Freiheit und Selbstbestimmung der Frauen ihr Leben riskieren. Wenn in Belarus eine Gemeinde einfach auf dem Parkplatz Gottesdienst feiert, weil sie ihre mutige Regimekritik mit dem Verlust des Kirchengebäudes bezahlte.

Ostergeschichten zeichnen die Karfreitagswelt nicht weich. Aber Ostern taucht sie in ein anderes, neues Licht. Ostergeschichten erzählen von der Hoffnung, dass Veränderung möglich ist. Dass es Menschen gibt, die füreinander da sind und immer wieder den Mut finden, aufzustehen für Gerechtigkeit und Freiheit, ohne die kein Friede möglich ist. Diese kraftvolle Zuversicht ist gespeichert im Osterruf, der alle Christinnen und Christen über Generationen und Konfessionen hinweg verbindet: «Er ist wahrhaftig auferstanden!»

Text: Felix Reich, Redaktionsleiter reformiert. Zürich