Kann ich überhaupt von Gott reden?

Eine gute Frage

Kann ich überhaupt von Gott reden?

Die Kinder und Jugendlichen in meiner Pfarrei lieben das Spiel «Tabu». Dabei müssen sie einen Begriff erklären – ohne aber die naheliegensten Worte zu benutzen.

Die sind nämlich, wie der gesuchte Begriff selbst, tabu. Gefragt ist also die Kunst des Andeutens.

Auch das Alte Testament spielt gewissermassen «Tabu»: Wo Christinnen und Christen in vielen deutschen Übersetzungen «Herr» lesen, steht auf Hebräisch ein Name: JHWH. Er bedeutet so viel wie «Ich bin der Für-euch-da». Jüdinnen und Juden sprechen den Namen bis heute nicht aus; so wahren sie in ihrer Sprache einen Abstand zum unantastbar Heiligen.

Wenn es um das Reden von Gott geht, finde ich mich als glaubender Mensch und als Seelsorger oft in einem Dilemma wieder: Einerseits möchte ich von dem Geheimnis erzählen, das mich trägt, antreibt und belebt. Andererseits habe ich Hemmungen. Wenn ich zu direkt spreche oder auf Kurzformeln zurückgreife, klingen meine Worte hohl und wie fixfertig. Dann ist kein Abstand mehr, und das Heilige ist geflohen.

Ein Beispiel: Nie würde ich zu jemandem sagen «Jesus liebt dich!» – obwohl ich davon überzeugt bin, dass die Aussage sachlich richtig ist. Aber sie ist zu simpel für die schwierige Geschichte dahinter. Sie wirkt himmelschreiend plump angesichts der vielen Wege, die diese Liebe sich sucht. Und sie lässt keinen Raum für das Geheimnis, von dem Jesus selbst nur in Gleichnissen sprach.

So geht es also nicht. Ich darf es mir nicht zu einfach machen und bloss etwas behaupten.

Erzählungen haben eine andere Kraft. Nicht ohne Grund besteht ein wichtiger Teil der biblischen Überlieferung aus Geschichten. Wenn ich von mir oder von anderen erzähle, schöpfe ich aus menschlichen Erfahrungen. Sie stecken in jeder guten Geschichte und machen sie glaubwürdig. Eine Erzählung ist ein Angebot, das die Zuhörenden frei lässt: Sie können in sie eintreten wie in ein Zimmer, darin Bekanntes wiedererkennen, Neues entdecken, sie verlassen und jederzeit wieder zurückkehren. Eine Erzählung drängt sich niemandem auf.

Noch eine zweite Art von Sprache hilft mir in meinem Dilemma: die Lyrik. Ihr Reichtum liegt im Andeuten, im bildhaften Vergleich und darin, auszulassen. Auch Gedichte lassen Platz für innere Bilder und verschonen das Wesentliche vom groben Zugriff des Wortes. Darum schätze ich spirituelle Dichterinnen und Dichter wie Silja Walter oder Andreas Knapp und ihre so ausdrucksstarke und zugleich bedachte Poesie.

Geschichten und Gedichte geben mir wertvolle Anregungen zum Sprechen aus meinem Glauben. Ich merke aber auch dann noch: Alles lässt sich nicht sagen. Manchmal verrät Schweigen am meisten über den, der selbst oft stumm bleibt.

Text: Jonathan Gardy