Viele Sprachen sprechen

Festbeitrag: Pfingsten

Viele Sprachen sprechen

Felix Reich, Redaktionsleiter von «reformiert. Zürich» sieht in Pfingsten ein Fest gegen die Verkrustung, weil Gott die Menschen immer wieder neu anspricht und herausfordert.

Was für ein Durcheinander. Ein multikulturelles Publikum, das aus allen Himmelsrichtungen von Ägypten bis Phrygien und von Mesopotamien bis Libyen zusammengeströmt ist, lauscht an Pfingsten den Reden der Apostelinnen und Apostel, nachdem der Heilige Geist in einem Sturm als Feuerzungen auf sie niedergegangen ist.

Alle Menschen hören in ihren je eigenen Sprachen die Botschaft des Evangeliums. Ein Wunder der Kommunikation.

Wunder sind verdächtig. Die Apostel seien «voll süssen Weins» (Apostelgeschichte 2,13), spotten die Skeptiker. Und tatsächlich kann Religion die Sinne trüben. Die rituelle Ekstase droht in eine Innerlichkeit zu kippen, die den Blick für den Mitmenschen verstellt. Und manchmal führt der Glaube in das rauschhafte Gefühl des Auserwähltseins und weiter in die Selbstgerechtigkeit. Fundamentalistinnen und Fundamentalisten betrinken sich besinnungslos an der Wahrheit, die sie für sich gepachtet zu haben glauben, bis ihr Rausch in der Aggression endet. Aber auch ganz nüchtern daherkommende Institutionen sind nicht gefeit vor Trunkenheit. Besoffen von der eigenen Macht, werden Hierarchien gepflegt und mit theologisch längst widerlegten Argumenten Ungleichheiten zementiert. Beschwipst von den eigenen Privilegien klammern sich Organisationen an ihre überholten Strukturen, statt sie aufzubrechen und den Notwendigkeiten der Zeit und den Nöten der Menschen anzupassen.

Die Apostelinnen und Apostel sind nicht betrunken. Sie lallen nicht selbstgefällig daher, sie berichten vielmehr «von den grossen Taten Gottes» (Apostelgeschichte 2,11). Und sie werden verstanden. Die Verheissung des Pfingstwunders besteht darin, dass Gott mit seinem Wort Menschen immer wieder neu anspricht. Diesen heilsamen Sturm, der verkrustete Denkmuster aufbricht und lieb gewonnene Trugbilder hinwegfegt, haben alle Christinnen und Christen – und insbesondere die Kirchen als Institutionen – nötig.

Zum Auftrag, der aus der Apostelgeschichte erwächst, gehört das Ringen um eine Sprache, die verstanden wird. Die Verkündigung des Evangeliums braucht keine Einheitssprache. Um Gottes Spuren in der Welt zum Leuchten zu bringen, sind deshalb unterschiedliche Sprachen gefragt, sich ergänzende Ausdrucksformen des Glaubens. Und es braucht in verschiedenen Traditionen gewachsene Kirchen, die in ihrer konfessionellen Vielfalt und ihrem Willen zur Verständigung und Erneuerung jene auf Christus bauende Kirche ausmachen, die an Pfingsten aus der Taufe gehoben wurde.

Text: Felix Reich, Redaktionsleiter reformiert. Zürich