In der Pflege

Die feinen Zeichen von Pflegebedürftigen wahrnehmen

mit Karin Daunois, Pflegefachfrau

Pflege ist nicht möglich ohne Berührung. Pflegebedürftige Menschen können diese Berührung als wohltuend erfahren. Sie kann aber auch das Gefühl von Hilflosigkeit verstärken und Scham auslösen. Was tun, wenn Handlungen wie Körperpflege notwendig, aber von den Betroffenen nicht gewünscht werden? «So wenig wie möglich, so viel wie nötig», meint Karin Daunois pragmatisch. Sie ist Teamleiterin des Geschützten Wohnens für Menschen mit Demenz «Im Ris» in Zürich Leimbach. «In so einem Fall versuchen wir eine kleine ‹Katzenwäsche› oder geben ihnen Kamm oder Zahnbürste in die Hand und lassen sie selber machen, so gut es eben geht.» Sie wäscht immer als Erstes die Füsse und erklärt mit einfachen Worten, was sie macht, und beobachtet, wie es aufgenommen wird. Ist die Blockade gross, dann würden sie es auch mal gut sein lassen. «Ausser, es gefährdet die Gesundheit. Dann braucht es vor allem viel Ruhe, Geduld, Einfühlungsvermögen, Akzeptanz und in allen Handlungen Respekt.» Manchmal, gerade bei Menschen mit Demenz, helfe es auch, über etwas ganz anderes zu reden.

«Ich muss mein Gegenüber spüren, seine Mimik und Körperhaltung wahrnehmen», sagt Daunois. «Ich begrüsse unsere Bewohnerinnen und Bewohner mit einer leichten Berührung am Oberarm. Wenn sie sich dabei verkrampfen oder leicht zurückweichen, nehme ich die Hände sofort weg. Manchmal öffne ich meine Arme und schaue, ob mein Gegenüber eine Umarmung wünscht und von sich aus auf mich zukommt.» Was Daunois immer wieder mit ihrem Team bespricht: es gilt auch, die eigenen Grenzen wahrzunehmen. «Ich möchte nicht von jedem unserer Bewohnenden in jeder Situation umarmt werden.» Es sei wichtig, das mit der eigenen Körperhaltung klar zu zeigen. «Und authentisch sein. Die Leute spüren genau, wenn es mir nicht gut geht. Dann sollte ich nicht mit einem aufgesetzten Lächeln durch die Gegend laufen.» Besser offen sagen: «Heute geht es mir nicht besonders gut. Aber wir machen zusammen das Beste daraus.» Gerade Menschen mit Demenz würden Gefühle sehr sensibel wahrnehmen und könnten gut damit umgehen, wenn man dazu stehe.  

Berührungen und Nähe seien heilsam, solange sie für alle Beteiligten stimmig und respektvoll gelebt werden. Das beginne schon beim Reden, ist Daunois überzeugt: «Ich sage meinem Team oft: Sagt nicht einfach Nein. Nein löst Aggressionen aus. Versucht es andersherum zu formulieren, die Person ernst zu nehmen.» Vor allem sei es wichtig, die Gefühlswelt der Bewohnenden zu erfassen und dieser zu begegnen. «Wenn jemand sich in Davos an einem Kongress fühlt, dann darf ich ihn fragen, wie die Vorträge waren, und dass jetzt das Kongress-Essen serviert wird.» Das heisst in der Fachsprache «validieren» und ist eine besondere Form der Kommunikation für Menschen mit Demenz: Es bedeutet Bewohnende dort abholen, wo sie sind, und von da aus einen Weg finden für das, was in der Pflege gerade ansteht und allen Beteiligten guttut. «So fühlen sie sich wertgeschätzt, da wir uns auf ihre Welt und Wahrnehmung einlassen. Sie empfinden dadurch eine Wärme und Nähe, die über körperliche Berührungen hinausgehen und für ihr Wohlbefinden entscheidend wichtig sind.»

Text: Beatrix Ledergerber