In der Sexualität

Sexualität ist ein Gut, das es zu schützen gilt

mit Mary Hallay-Witte, Leiterin des Instituts für Prävention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Das Erleben von Sexualität ist die tiefste emotionale und physische Erfahrung, in der sich Menschen intim und körperlich begegnen.  Der Sexualtherapeut und Autor Christoph Joseph Ahlers schreibt in seinem Buch «Vom Himmel auf Erden – Was Sexualität für uns bedeutet» über Sexualität als: «intimste Form der Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht. Unsere Möglichkeit, Liebe leiblich erleben beziehungsweise beileibe begreifen zu können. Sex ist die Möglichkeit, über intimen Körperkontakt elementare Mitteilungen zu machen und zu empfangen. In diesem Verständnis ist Sexualität Körperkommunikation zur Erfüllung psychosozialer Grundbedürfnisse: wahrgenommen, ernstgenommen und angenommen zu werden.»

Sexualität wird hier ganzheitlich verstanden. Sie erfüllt elementare Funktionen des Menschseins und ist eine zutiefst bedeutsame Form der Lebensenergie. Sie dient der Kommunikation und gibt Menschen die Möglichkeit, sich in intimer Weise als Subjekt zu spüren und geliebt zu fühlen.

Diese Erkenntnisse führen vor Augen, wie grundlegend zerstörerisch das Erleben von sexuellem Missbrauch ist. Menschen werden gewaltvoll ent-subjektiviert. Das Erleben von sexuellem Missbrauch trifft Kinder und Jugendliche in einer höchst vulnerablen Lebensphase. Sie sind schutzbedürftig in der Ausbildung ihrer eigenen Identität und für die Lösung ihrer Entwicklungsaufgaben auf Erwachsene angewiesen. 

Intimität gelingt in einem zerbrechlichen Schutzraum, für den es das gegenseitige Vertrauen auf eine gute Absicht braucht, genauso wie ein geteiltes Verständnis des gemeinsamen Tuns. 

So trifft diese Form der Gewalt Menschen im Kern ihrer Entwicklung zu einem eigenständigen Subjekt, das selbstbestimmte Erfahrungen mit der eigenen Sexualität und in der Körperkommunikation machen darf.  In jungen Jahren fällt dies in eine Lebensphase, in der die Weichen für die gesamte körperliche und seelische Entwicklung im Laufe des Lebens gestellt werden; die Weichen, die unterschiedliche Dispositionen für die körperliche und seelische Gesundheit prägen; die es ermöglichen, Resilienzen auszubilden oder zu einem Menschen zu werden, der mit einer erhöhten Vulnerabilität ins Leben startet. Letztlich haben diese Faktoren sogar Einfluss auf eine mögliche verfrühte Sterblichkeit. Deshalb ist Sexualität an sich ein Gut, das bedingungslos zu schützen ist.

Text: Mary Hallay-Witte