In der Pandemie

Wie ich Umarmungen wieder ganz neu schätzen lernte

mit Thomas Binotto, Privatmensch in einer binationalen Beziehung

An Ostern hatte ich Corona. Bereits zum zweiten Mal. Glücklicherweise mit ganz schwachen Symptomen. Aber das Testresultat war eindeutig, und deshalb wurde es nun kompliziert. Ich sass auf der ostfriesischen Insel Wangerooge, weil ich als Freiwilliger in der Pfarrei die Ostertage mitgestalten sollte. Also habe ich, um das restliche Team nicht anzustecken, wieder ausgiebig Maske getragen, die Gottesdienste räumlich separiert mitgefeiert und die Mahlzeiten auf meinem Zimmer eingenommen.

Damals wusste ich schon, dass ich einen Text über das Erleben von Distanz in Zeiten der Pandemie schreiben sollte. Die Ostertage kamen mir deshalb wie eine – höchst unwillkommene – Auffrischung dieser Erfahrung vor. Nochmals fühlte ich den Schmerz, der durch Separierung ausgelöst wird. Oft fühlte ich mich wie ein Besucher, der durch die Glaswand zuschaut, wie andere Gemeinschaft leben. Eine Gemeinschaft, die sich liebevoll um mich gesorgt hat und alles tat, mich trotz allem teilhaben zu lassen. Und doch konnte ich dieses Gefühl von Verlorenheit nicht ausblenden. Dass die Gemeinschaft die ganze Zeit zum Greifen nah um mich war, hat mein Gefühl von Isolation sogar noch verstärkt.

So war es mir auch am 22. April 2020 ergangen, als ich mich von meiner Lebenspartnerin am Badischen Bahnhof in Basel verabschiedet habe. Sie fuhr zurück in ihre Heimat nach Norddeutschland, und wir wussten, es würde ein Abschied für längere Zeit werden. Die Grenze war wegen Corona brutal undurchlässig geworden.

Am Ende wurden es neun Monate, in denen wir unsere Beziehung nur aus der Ferne pflegen konnten. Wir haben diese lange Durststrecke zum Glück überstanden, obwohl uns irgendwann sogar die Videoanrufe geschmerzt haben, weil sie uns wie eine Fata Morgana körperliche Nähe vorgegaukelt haben. Ausschliesslich unsere Stimmen zu hören, fühlte sich tröstlicher und näher an.

Diese neun Monate waren meine schmerzlichste Erfahrung von Distanz während der Pandemie. Aber bei weitem nicht die einzige. Mehr als ein Jahr lang habe ich niemanden mehr umarmt, meine Kinder nicht, meine Eltern nicht, meine Freundinnen und Freunde nicht. Neun Monate gab es keine körperliche Nähe, stand ich hinter der Glaswand – genau wie meine Lieben. Wir waren uns auch in dieser Zeit nahe, haben uns gestützt, miteinander gelacht und sogar gefeiert. Und dennoch: Ich habe mich so sehr nach einer Umarmung gesehnt.

Ich trauere den Begrüssungsküsschen, die mit Corona verschwunden sind, kein bisschen nach. Dass die Umarmungen zurückgekehrt sind, dafür bin ich jedoch zutiefst dankbar.

Text: Thomas Binotto