Der Gedanke an die Begegnung mit dem Papst erfüllt mein Herz mit Vorfreude und Ehrfurcht. Ich darf am ersten hinduistisch-christlichen Dialog-Treffen vom 2. Mai im Vatikan teilnehmen. In einer von religiöser Vielfalt geprägten Welt ist die Förderung des interreligiösen Dialogs und Verständnisses von entscheidender Bedeutung, um Brücken zu bauen und ein harmonisches Zusammenleben zu fördern.
Der Apero am Vorabend wird von Kardinal Miguel Ángel Ayuso Guixot, Präfekt des Dikasteriums für den interreligiösen Dialog, eröffnet. Christliche Theologinnen und Hindu-Gelehrte, Professoren und Religionswissenschaftlerinnen aus aller Welt – Oxford, München, Heidelberg, Fribourg – stellen sich vor. Die Vorfreude ist spürbar. Durch die Schaffung von Räumen für den Dialog soll das Treffen Mitgefühl und gegenseitiges Verständnis fördern.
Das Abendessen ist etwas kärglich. Der Chefkoch versteht das Wort «vegetarisch» sehr wörtlich. Wir Hindus bekommen buchstäblich nur Gemüse zum Abendessen. Dafür hat es nachher noch Platz für ein vatikanisches Eis.
Am nächsten Morgen kommen im Konferenzraum 55 Teilnehmende zusammen – mit Simultanübersetzungen in mehrere Sprachen. Der Kardinal eröffnet mit einer faszinierenden Rede: Er beschreibt Papst Franziskus‘ Vision von «Fratelli Tutti». Er spricht davon, wie der Papst in einer Rede die Upanischad, eine unserer Heiligen Schriften, zitiert. Er spricht von Sanatana Dharma – dem ewigen Dharma: dem Sanskrit-Überbegriff für sämtliche Hindu-Traditionen. Er spricht davon, wie Hindu-Spiritualität das christliche Verständnis von Spiritualität bereichern kann.
Ein Religionswissenschaftler betont etwas nüchterner: Interreligiöse Begegnungen bieten Hindus und Christen zwar die Möglichkeit, sinnvolle und respektvolle Beziehungen zu entwickeln. Doch dafür müssen sich Menschen aus beiden Traditionen auf offene und ehrliche Gespräche einlassen.
Ich spreche über Nichtdualität: Das Wort «katholisch» bedeutet doch ursprünglich allumfassend. Warum gibt es also für Katholiken «insider» und «outsider»? Die nichtdualistische Sichtweise, welche in der hinduistischen wie in der buddhistischen Tradition unter dem Namen Advaita vorkommt, sieht eine letzte Wirklichkeit, ein absolutes Prinzip der Einheit hinter allem. An dieser Wirklichkeit hat die gesamte Schöpfung und somit auch jedes Wesen Anteil. Ich betone, dass diese Sichtweise die katholische Kirche in ihrer ursprünglichen Katholizität – also Universalität – stärken kann. Ich spreche auch über den mütterlichen Aspekt des Göttlichen, den wir im Hinduismus als Devı- Lalita- bezeichnen, als die natürlich innewohnende Liebe und Glückseligkeit in allen Lebewesen.
Die Begegnung mit dem Papst am nächsten Morgen ist kurz, aber ihre Wirkung ist tiefgreifend. Seine Augen, in denen sich eine Fülle von Weisheit und Mitgefühl widerspiegelt, reichen tief in die Seele. Das warme Lächeln und die sanfte Berührung des Papstes vermitteln ein Gefühl von Einheit und Liebe. Ich bitte ihn, meine Ma-la- – meine Gebetskette – zu segnen.
In den vatikanischen Gärten entdecke ich eine uralte Quelle aus römisch-griechischer Zeit und einen von Pfauen flankierten Tannenzapfen: Der Pfau ist das Attribut der römischen Göttin Juno. Ich denke: In ihrer Manifestation als Juno segnet die Göttliche Mutter den Vatikan immer noch von innen.