Ein vollgestopftes Regal in meinem -alten Kinderzimmer, in dem ich seit 30 Jahren nicht mehr wohne, brachte mich in eine besondere Stimmung: Das Doppelkassettendeck (Geburtstagsgeschenk zum 15.), meine Abiturzeitung, CDs und die Sportabzeichen, inzwischen vergilbte, aber einst häufig gelesene Bücher erinnerten mich an früher. Auf einmal war ich wieder 17 und mit allem Möglichen und Unmöglichen beschäftigt: Noch etwas unsicher, aber neugierig, mit viel Grundvertrauen in das Gute im Menschen ausgestattet. Sogar der Geruch im Zimmer war noch wie früher.
Ich war in meiner norddeutschen Heimat, weil meine Mutter zum 80. Geburtstag mit der Betonung auf «Das ist mein letztes Fest!» eingeladen hatte. Und das sehr grosszügig: sogar alle Kinder ihrer verstorbenen Geschwister waren gekommen. Wir haben uns sehr gefreut, uns wiederzusehen, und tauschten natürlich Erinnerungen an frühere Feste aus, bei denen es stets viel zu essen (Buttercremetorte meiner Grosstante Ruth – eine Legende!), ordentlich viel zu lachen und die obligatorische Gruselgeschichte meines Vaters, erprobter Pfarreilagerleiter, zum Einschlafen gab.
Das Tolle: Cousine 1 lacht noch immer so laut und herzlich wie früher. Cousine 2 ist noch immer für jeden Mist zu haben (früher sind wir mal aus dem Fenster abgehauen, um ihren Schwarm verbotenerweise zu treffen). Cousin 3 ist noch immer sportlich und schlau (ach ja: und gutaussehend). Cousine 4 immer noch korrekt, ehrlich, aber auch ein bisschen bieder. Cousin 5 ähnelt meinem Vater, seinem Onkel, immer mehr. Onkel 1, früher furchtbar streng, ist auf einmal ein interessierter älterer Herr, der mit allen ins Gespräch kommt.
Wir alle haben Freude an der gemeinsamen Zeit, damals wie heute. Von einigen unserer Eltern mussten wir uns bereits verabschieden, nicht aber von den Erinnerungen: Ich werde nie vergessen, wie Tante 1 auf jeder Feier -peinliche Karnevalslieder zum Besten gab, und nie, dass mein Onkel einmal, weil er seinem Sohn wütend hinterherrannte, durch die Glastür im Wohnzimmer sprang. Oder wie meine Tante zu jeder Mahlzeit wie ein Bierkutscher aus der Küche nach ihrer Familie brüllte.
Den Regalinhalt in meinem Zimmer habe ich im Laufe des Besuchs gnadenlos dezimiert. Man muss ja nicht alles physisch aufbewahren. Aber auf der langen Fahrt zurück in den Süden ordnete ich neue und alte Erinnerungen im Regal in meinem Kopf, um sie jederzeit abrufen zu können für die warmen -Momente mit den Erinnerungen, die einem den Alltag verschönern, beim Einschlafen helfen und den eigenen Platz im Leben definieren. Voller Dankbarkeit für die vielen Menschen, die, wenn auch weit weg oder nicht mehr am Leben, ebenfalls meine Familie sind.