«Wir müssen alle Mittel zur Prävention ergreifen»

Interview

«Wir müssen alle Mittel zur Prävention ergreifen»

Der neue Synodalratspräsident Raphael Meyer erklärt, weshalb der «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht» in die Anstellungsordnung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich gehört.

Raphael Meyer, warum braucht es einen «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht»? 

Raphael Meyer: Wenn Sie auf der Strasse fragen, was die Probleme der Katholischen Kirche sind, wird sofort die Missbrauchsproblematik genannt. Daher müssen wir alle Mittel zur Prävention ergreifen, die möglich sind. Seit 2019 gibt es das Diözesane Schutzkonzept im Bistum Chur. Der nun von den Präventionsbeauftragten ausgearbeitete Verhaltenskodex ist die konkrete Umsetzung davon. 

Was verändert sich dadurch für die Mitarbeitenden konkret? 

Es ist jetzt verpflichtend, dass sich alle Mitarbeitenden an diesen im Verhaltenskodex aufgeführten Grundhaltungen orientieren und den geforderten respektvollen Umgang im Alltag, in ihrer Position, umsetzen und ihre Verhaltensweisen regelmässig reflektieren. Insbesondere enthält das die Pflicht zum Besuch von Veranstaltungen, wie bereits angeboten zur Einführung, später als Weiterbildungen im Thema Prävention. 

Im Reglement zur Umsetzung des Verhaltens-kodexes steht, dass dieser regelmässig in Mitarbeitergesprächen thematisiert werden soll. Machtmissbrauch geschieht aber oft zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Wie soll man genau in diesem Setting darüber reden?

Die Reflexion über die Handlungsrichtlinien im Verhaltenskodex soll im Mitarbeitergespräch losgelöst von konkreten Situationen geschehen. Liegt konkreter Machtmissbrauch oder eine Grenzüberschreitung der vorgesetzten Person vor, ist es natürlich nicht zumutbar, direkt mit ihr darüber zu reden. In diesem Fall  ermutigen wir Mitarbeitende, sich an die nächsthöhere Stufe oder an die Anstellungsbehörde zu wenden. 

Wer Missbrauch erlebt, will sich wohl kaum an eine Stelle innerhalb des kirchlichen Systems wenden. Zu oft wurde vertuscht oder abgestritten. 

Mit dem nun von der Synode genehmigten Umsetzungsreglement haben wir die Grundlage, damit in Zukunft auch eine externe, unabhängige Anlaufstelle geschaffen werden kann. Mit dem Verhaltenskodex ist die Prävention längst nicht abgeschlossen. Die Schaffung einer unabhängigen Meldestelle wäre eine sinnvolle Weiterentwicklung.

Zu Beginn gab es einigen Widerstand gegen den Verhaltenskodex.

Es gab einige kritische Fragen, die konnten wir aber in der Regel mit den Betroffenen klären. Die allermeisten unserer Angestellten der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, Priester, Theologinnen oder administratives Personal, waren sich einig, dass die Missbrauchsproblematik drängend ist und man sich damit auseinandersetzen muss. Der Verhaltenskodex ist kein Gesetz, sondern ein Reflexionsinstrument, das uns auf wichtige Themen und zweideutige Verhaltensweisen aufmerksam macht. 

Synode stimmt Aufnahme in Anstellungsordnung zu

Mit 74 Ja- und zwei Nein-Stimmen, bei neun Enthaltungen, beschloss die Synode – das Parlament der Katholischen Kirche im Kanton Zürich – an ihrer Sitzung vom 22. Mai, den «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht. Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung» in die Anstellungsordnung einzugliedern. In der Diskussion mit fünf Wortmeldungen wurde klar, dass die Notwendigkeit von Präventionsmassnahmen gegen Missbrauch für niemanden in Frage steht. Wenige Synodale fanden den Verhaltenskodex zu umfangreich oder schwierig in der Umsetzung.

Dann gibt es keine Konsequenzen, wenn man sich nicht daran hält? 

Doch, aber eine mögliche Sanktion muss im Verhältnis zum Vorwurf sein. Wenn eine Straftat vorliegt, wird die Person der Justiz zugeführt. Das gilt selbstverständlich schon jetzt. Viele Probleme liegen aber im Graubereich. Jemand macht unangebrachte Witze, redet respektlos, merkt es aber vielleicht gar nicht. Da soll ein Gespräch Abhilfe und einen angemesseneren Umgang schaffen. Wenn das nichts hilft, oder bei gröberen Verstössen wie Mobbing oder Grenzüberschreitungen, kann eine andere Aufgabe zugewiesen oder der Besuch einer Weiterbildung angeordnet werden. Im schlimmsten Fall kann nach einer Verwarnung auch gekündigt werden. 

Zuerst hiess es, alle müssen den Verhaltenskodex unterschreiben, jetzt wurde er der Anstellungsordnung angegliedert. Warum? 

Weil damit der Verhaltenskodex als Leitlinie für angemessenes Verhalten für alle verpflichtend wird. Nach der Einführung des Verhaltenskodex ist dessen Eingliederung in die Anstellungs-ordnung der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, also ins Recht der Körperschaft, der nächste logische Schritt. Damit entfällt die Notwendigkeit, dass jede einzelne Person ihn unterschreiben muss. Wichtig ist, dass sich alle verpflichtet fühlen. Wenn jemand beispielsweise negativ über gleichgeschlechtliche Beziehungen denkt, können wir das nicht verbieten. Aber mit dem Verhaltenskodex soll es nicht mehr möglich sein, dass jemand über eine – oder schlimmer noch – mit einer Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung respektlos und abwertend spricht. 

Der Verhaltenskodex verbietet jegliche Form der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Daher darf diese auch bei einer Anstellung keine Rolle spielen. Wie sieht es -diesbezüglich mit der bischöflichen Missio aus?  Bekommen offen bekennende queere Seelsorgende die Missio oder nicht? 

Ich kann mich nur zu Fragen zur Körperschaft äussern. Aber Bischof Bonnemain hat sich immer wieder klar zum Verhaltenskodex bekannt, ihn selber unterschrieben und betont, dass daran nichts mehr geändert wird. Daher denke ich, dass die sexuelle Orientierung bei einer Missio kein Hindernis sein dürfte. Mir ist auch kein Fall in jüngerer Zeit bekannt, wo die Missio deswegen entzogen worden wäre. Aber eine konkrete Aussage dazu kann ich nicht machen.

Text: Beatrix Ledergerber