Ist Religion Selbsthilfe?

Eine gute Frage

Ist Religion Selbsthilfe?

Jeder kennt diese Art von Büchern mit verheissungsvollen Titeln wie «Das Geheimnis des Glücks», «5 Gewohnheiten erfolgreicher Menschen», «Der Schlüssel zu mehr Selbstbewusstsein». 

Als «Self-help», «Selbsthilfe», bezeichnet man neudeutsch solche Ratgeberliteratur. Ein beachtlicher Anteil davon nimmt in der einen oder anderen Form Bezug auf Spiritualität. Man liest von Achtsamkeit und Meditation, vom Feuer der Seele und von heilenden Energien. Auch christliche Ratgeber befinden sich darunter. Eine Handvoll solcher Bücher habe ich selbst gelesen. Manche mit Gewinn. Doch frage ich mich, wie gut der christliche Glaube letztlich in diese Schublade passt. Ist der Glaube, modern gesprochen, ein Self-help-Konzept?

Es gehört grundlegend zur religiösen Sehnsucht dazu, dass sich Menschen ein gelingenderes Leben erhoffen, dadurch, dass sie sich dem Göttlichen zuwenden. Auch die Bibel ist voller solcher Verheissungen. Da heisst es etwa: «Wohl denen, die nach der Weisung des Herrn wandeln. Glücklich sind, die ihn von ganzem Herzen suchen» (vgl. Psalm 119,1 – 2). Und Gott spricht zu Josua: «Halte die ganze Weisung, die Mose dir gegeben hat, und handle danach, damit du Erfolg hast auf allen deinen Wegen» (vgl. Josua 1,7). Und verheisst nicht der berühmte Psalm 23, dass mir mit Gott als meinem guten Hirten nichts mangeln wird?

Das literarische Gedächtnis der Bibel ist nun aber genauso geprägt von gegenteiligen Erfahrungen, die solche Verheissungen infrage stellen. «Warum ist der Weg der Gottlosen erfolgreich, und die Treulosen haben alles in Fülle?», klagt der Prophet Jeremia (vgl. Jer 12,1). In einem Psalm heisst es: «Ich beneidete die Übermütigen, als ich das Wohlergehen der Gottlosen sah. Sie sind gesund und wohlgenährt. Umsonst habe ich mein Herz rein gehalten. Ich werde ja trotzdem von Unglück verfolgt» (vgl. Ps 73). Auch Jesus redete Klartext mit seinen Jüngern darüber, was sie zu erwarten haben, wenn sie ihm nachfolgen: «Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen» (Joh 15,20).

Der christliche Glaube bietet also kein Patentrezept dafür, dass es mir gut gehen wird, dass ich erfolgreich sein und anerkannt werden würde. Das Evangelium liefert keine Anleitung zum Glücklichsein, wie es moderne Ratgeber versuchen. Vielmehr eröffnet es ein Beziehungsangebot. Ein Beziehungsangebot zu einem göttlichen Du. Aus dieser Beziehung heraus strömt eine Fülle, die vieles im Leben in Bewegung bringen kann – ja, die heilend und stärkend wirken kann und Neuanfänge möglich macht. Aber Gott lässt sich nicht für mein persönliches Glück oder meinen individuellen Erfolg instrumentalisieren. Sein Beziehungsangebot richtet sich auch nicht an mich allein. Es hat auch all das Leben um mich herum im Blick, das ebenfalls aufblühen und sich entfalten möchte.

Text: Christian Schenker, Hochschulseelsorger im aki Zürich