Von der Alp auf den Turm

Aus dem Zürcher Grossmünster

Von der Alp auf den Turm

An diesem Wochenende strömt alles Volk in die Stadt. Am «Züri-Fäscht» rund um das Seebecken und die Limmat lachen, tanzen und freuen sich Hunderttausende. Mittendrin: Die Türme der Altstadtkirchen mit ihren vibrierenden Drähten zwischen Himmel und Erde. 

Nicht nur Tränen der Freude, auch Tränen der Trauer und Ohnmacht setzen Kirchentürme in Schwingung. Die Glocken sind die eine Form des Klanges, der uralt den Lärm oder die Stille der Stadt in besonderer Weise umarmt. Bleiben Sie einmal am Samstag um 19.00 Uhr mitten auf der Münsterbrücke stehen und blicken Sie Richtung Bahnhof. Die Glocken aller vier Altstadtkirchen, von Fraumünster, Grossmünster, Predigerkirche und St. Peter, versetzen Sie in einen anderen Raum, obwohl Sie stehengeblieben sind. 

Nicht nur die Glocken der Türme versetzen die Stadtseele in Schwingung, wenn die Stadt festet und feiert. Als im harten Lockdown die Stadt 2020 stillgelegt wurde, verwandelte sich der Lärm in unglaubliche Stille. Aus der Stille entsteht der Klang des Segens. So lernte ich es im Alpstein. Dort habe ich meine Tätigkeit als Pfarrer begonnen. Ich habe von einem katholischen Bauern den Alpsegen kennengelernt. Jeden Abend, nach dem Melken der Kühe, stand er auf einem Stein hinter dem Alpzimmer. Er sah ins Tal. Er entdeckte weit unten im Dorf seine Frau, die zu ihm sah. Er sang den Alpsegen, den er mündlich von seinem Vater gelernt hatte. Die Frau antwortete mit einem dreifachen Juchzer: «So telefonieren wir jeden Abend und wissen, dass unten und oben alles gut ist», sagte mir mein Lehrmeister des Segens für öffentliche Räume. 

In der Corona-Stille einer Nacht schrieb ich den Alpsegen in den Stadtsegen um. Statt «Ave Maria» wählte ich: «Bhüeti Gott!». Und anstelle der vielen Heiligen fügte ich die vielen Religionen der Stadt ein. In der Karwoche 2020 ertönte der Stadtsegen zum ersten Mal vom Karlsturm des Grossmünsters. Seitdem singe ich ihn zusammen mit vielen anderen immer zur Passions- und Osterzeit. Er soll auch die Masse von Menschen, die am «Züri-Fäscht» an unseren Kirchen in diesen Tagen vorbeigepilgert sind, segnen, beschützen und behüten. 
 

Bhüeti Gott
Es walti Gott und sini Geischtchraft Mänsch und Hab, und alles, wo da ume isch,

bhüet eus d’Müettere und Vätere i Jesus Christus, Chind und Chegel,

Alti und Jungi, Richi und Armi, Chranki und Gsundi,

bhüet eus die, wo glaubed, und die wo nöd glaubed, die wo eus allne Städtvätere und Stadtmüettere sind, Stadtchind, Stadtschwöschtere und Stadtbrüedere.

Bhüet eus Gott alli Chrischte und Chrischtinne, bhüet eus Gott alli Muslimas und Muslime. Bhüet eus Gott alli Jüdinnen und Jude, bhüet eus Gott alli Schwöschtere und Brüedere mit ihrem hinduistische Glaube, em buddhistische und em shintoistische Glaube.

All euseri heilige Tier, Fisch, Pflanze i eusere Stadt, i euserem Land und uf de ganze Erdä.

Bhüet eus Gott vor böser Stund eus alli im ganze Rund. Bhüet eus Gott vor Wetterschlag, vor Chranked, Durscht und jedere Plag. Mer sind wach, achtsam und tapfer, Hebed zuenand, i Gott’s Name.

Text: Christoph Sigrist