Von Aufbrüchen und Widerständen

Editorial

Von Aufbrüchen und Widerständen

«Aufbruch» klingt immer so schön. Zumindest in meinen Ohren. Aufbruch in die Ferien zum Beispiel. Wenn es denn nur endlich so weit wäre!  

Wenn endlich alle Arbeit – oder früher alle Schule – einfach alles – getan wäre … bis dann der Aufbruch da ist. Was für ein Aufwand und was für ein Stress so ein Aufbruch doch eigentlich ist. Habe ich alles eingepackt? Abwesenheitsnotiz im Mail-Account? Blumen gegossen? Schlüssel zur Sicherheit beim Nachbarn? Lichter abgeschaltet? Und von Jahr zu Jahr neu «bewundere» ich die Bilder vom Stau am Gotthard …

Was für Emotionen so ein Aufbruch auch auslöst. Geht es nämlich erst wirklich los, werde ich immer überraschend emotional: Eigentlich ist das, was gerade noch war, doch gut und recht schön. Gibt Struktur, schafft Sinn, macht sogar Spass – die Arbeit zum Beispiel. Muss ich denn wirklich los? Auch die Menschen loslassen, deren Verbundenheiten mir etwas bedeuten, mir am Herzen liegen? Über deren Gegenwart ich mich freue?

Auch in Institutionen scheint «Aufbruch» eine grosse Sehnsucht zu sein. Wenn «das Neue» doch nur schon längst begonnen hätte … neue Hierarchien – oder grad gar keine mehr, bessere Strukturen – oder zumindest mit Sicherheit andere.

Nicht, dass mir zu allem gleich die Bibel in den Sinn käme. Zum Aufbruch allerdings schon. Zehn Plagen müssen erst einmal über das Land fegen, ehe das Volk Israel aufbrechen darf – mit tiefer Sehnsucht erwartet, aus Unterdrückung und Sklaverei. Wer die Erzählung vom Exodus kennt, weiss, dass auch dann, einmal aufgebrochen, erst die Wüste kommt, bevor die Freiheit beginnen kann.

Definitiv lässt sich ein Aufbruch aus Sklaverei nicht mit einem Aufbruch in die Ferien vergleichen. Im Grossen wie im Kleineren steckt allerdings die Erfahrung, dass das Neue und Andere oft erst einmal als Widerstand daherkommt. Vielleicht steckt ja genau darin das Potenzial für die Entwicklung.

Text: Veronika Jehle