Die junge Kirche lebt – und hat Fragen

Reportage

Die junge Kirche lebt – und hat Fragen

Der Weltjugendtag in Lissabon ist zu Ende – und es bleibt das Bild einer kraftvollen, jungen Kirche voller Vielfalt, in der auch Fragen und Differenzen Platz haben. 

Wer zum Weltjugendtag  kommt, braucht Durchhaltevermögen. Die Tage sind lang und anstrengend, die Wege weit, die U-Bahnen überfüllt, die Unterbringungen in den meisten Fällen karg. Hinzu kam bei dieser Ausgabe noch die portugiesische Sommerhitze. Doch all das ist es den Teilnehmenden wert: Sie sind entweder neugierig auf ein Event wie dieses, suchen Begegnung oder Festigung im Glauben – oder alle diese Dinge zusammen. Die jungen Leute am Weltjugendtag zeigen, dass ihnen etwas an Glaube und Kirche liegt – auch wenn die eine oder der andere möglicherweise manchmal an Letzterer verzweifeln. Lissabon zeigte, dass es eine lebendige, junge Kirche gibt, die die Kirche und die
Welt gestalten möchte, aber auch manche kritische Anfrage an die Institution hat. Für all das war Platz bei dem großen Glaubensfest – ganz im Sinne von Papst Franziskus, der in den Tagen mehrfach eine Kirche forderte, die für alle da sein soll. Rund 1,5 Millionen Besuchende zog der Weltjugendtag an. Es war eine kraftvolle, herzliche Gemeinschaft, die in Lissabon zusammengefunden hat. Das merkte man bei den Gottesdiensten und Veranstaltungen genauso wie in der portugiesischen Hauptstadt selbst. Gruppen zogen bis in die Nacht hinein skandierend durch die Strassen Lissabons. Oft schwenkten sie dabei die Fahnen ihres Herkunftslandes. Von anderen Gruppen wurden sie dafür bejubelt. Pilger aus verschiedenen Ländern gingen ohne Scheu aufeinander zu, tauschten Sticker, Armbänder und Ansteck-Buttons. «Es ist diese bedingungslose Liebe und Gemeinschaft, die den Weltjugendtag ausmacht», sagt Sarah Dittrich, die eine Gruppe aus dem Bistum Aachen leitet. Für viele sei er wie ein «Stückchen vom Himmel». Sie erlebten am eigenen Leib, was Weltkirche bedeutet.

«Der Weltjugendtag ist ein bedeutendes und unvergessliches Ereignis in meinem Leben. Sich dem Glauben so intensiv zu widmen und mit Millionen Gleichgesinnten zu teilen, macht mich dankbar. Es sind internationale Freundschaften fürs Leben entstanden. Spassige Aktivitäten und ruhige Momente für den Glauben im perfekten Gleichgewicht. Der Weltjugendtag wird für mich stets Gedanken an Gemeinschaft, Leidenschaft für den Glauben und Freude wecken.»
Anna-Carolina, 18 Jahre

Der Weltjugendtag zog Pilgerinnen und Pilger aus vielen unterschiedlichen Ländern an.Für die meisten stand nicht nur der Event-
Charakter im Vordergrund. Sie suchten Vertiefung im Glauben und stellten die Frage nach einer christlichen Lebensgestaltung. Sie suchten nach Austausch, wie sie mit Lebenskrisen umgehen können und wie einem der Glaube Halt geben kann. Es wurde gemeinsam gebetet, gesungen: Bei vielen nahm man eine grosse Freude am und Selbstverständlichkeit im Glauben wahr. Papst Franziskus forderte sie in einer seiner Ansprachen auf, die Freude am Glauben zu leben. Sie sollten die Frohe Botschaft mit offenem Herzen und grosser Freude weitergeben, wünschte sich der Pontifex.

Globale Herausforderungen
Wie sich die Zukunft der Welt aus diesem Glauben heraus gestalten liesse, war ebenfalls ein grosses Thema. Denn die globalen Herausforderungen sind enorm: Kriege in vielen Teilen der Welt, grosse soziale Ungerechtigkeit und der Klimawandel. So wurde bei einem internationalen «Youth Hearing», auch über Klimagerechtigkeit diskutiert. Für viele Junge gehören Glaube, Gemeinschaft und politisches Engagement zusammen. Sie möchten sich für die christliche Vision einer gerechteren und solidarischen Welt einsetzen.

Es waren die Themen, die auch Franziskus in diesen Tagen umtrieben. All den jungen Leuten gab er bei der Abschlussmesse mit auf den Weg, keine Angst zu haben: «Euch jungen Menschen, die ihr euch anstrengt und Fantasie aufbringt, aber den Eindruck habt, dass dies nicht genügt; euch Jungen, die die Kirche und die Welt brauchen wie die Erde den Regen; euch, die ihr die Gegenwart und die Zukunft seid; euch sagt Jesus: Fürchtet euch nicht!»

Am Weltjugendtag wurden aber auch die Konfliktthemen in der Kirche sichtbar. Auch das Thema LGBTQ war präsent. Manche hatten eine Regenbogen-Fahne dabei, um ein Zeichen für die Akzeptanz queerer Menschen in der Kirche zu setzen. Die Reaktionen der anderen Pilgerinnen und Pilger reichten dem Vernehmen nach von Wohlwollen bis Aggressivität. 

«Es war manchmal stressig und anstrengend mit so vielen Leuten. Aber ich fand es eindrücklich, wieviel Lebensfreude alle ausgestrahlt haben. Es war einfach schön mich mit anderen auszutauschen und ein bisschen über die religiösen Gewohnheiten aus ihrem Heimatland zu reden.»                                                                                                                                 Lucas, 16 Jahre

Wie soll die Kirche der Zukunft – oder die Zukunft der Kirche – aussehen? Diese Frage wurde bei manchen Gesprächsformaten aufgegriffen – und kontrovers diskutiert. Manche betonten, dass ihnen die Reformbemühungen zu langsam gingen. Besonders deutlich wurde eine tiefe Enttäuschung über Missbrauch in der Kirche und dessen Vertuschung. Manche hätten sich auch deutlichere Worte von Papst Franziskus zu diesem Thema gewünscht. Auch in Portugal waren zuletzt hohe Missbrauchszahlen in der Kirche bekannt geworden. Ein Teil der jungen Gläubigen vermisst besonders Veränderungen im Blick auf Machtstrukturen und die Anerkennung sexueller Vielfalt. Sie wünschen sich eine inklusivere Kirche. Andere wiederum betonten, dass ihnen viele Reformforderungen zu weit gingen und es in ihren Augen vor allem eine geistliche Erneuerung braucht. Unterschiede, die es auszuhalten galt.

Viele Formen des Glaubens
Der Weltjugendtag mit all seinen Eindrücken von einer farbenfrohen, offenen und herzlichen Weltkirche, die mehr zu bieten hat als ständige Krisendiskussionen, hat viele bestärkt. Mehrere junge Pilgerinnen und Pilger betonten nach der Abschlussmesse, dass sie nach allen Erfahrungen dieses Weltjugendtags positiv in die Zukunft der Kirche blicken. Junge Christen in aller Welt leben und erleben Kirche unterschiedlich, das zeigte dieser Weltjugendtag deutlich. Doch über alle Diskussionen hinweg, die es geben mag, erfuhren sie eine verbindende, stärkende Gemeinschaft im Glauben. Einheit in Vielfalt ist in diesem Sinne nicht nur möglich, sondern längst Realität. Auch das ist eine Erkenntnis der Tage in Lissabon.

«Von Papst Franziskus nehme ich zwei Botschaften mit: Die Kirche ist offen für alle und wir sollen keine Angst haben. Die Offenheit wird allerdings mehr gepredigt als umgesetzt in der Kirche. Die Ermutigung des Papstes, keine Angst zu haben, hat mich jedoch persönlich erreicht.»                                                                                                                         Manuel, 25 Jahre 

«Nach sieben Jahren konnte ich endlich wieder an einen Weltjugendtag gehen. Das Warten hat sich gelohnt! Endlich wieder den Glauben mit Millionen junger Menschen aus der ganzen Welt zu feiern ist enifach atemberaubend und stärkt meinen Glauben wahnsinnig. Es macht grossen Spass, einmal ausserhalb der eigenen Pfarrei mit vielen Gleichgesinnten zu beten. Die Worte und Predigten des Papstes haben mich berührt und gestärkt. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Weltjugendtag in Südkorea.
Tobias, 26 Jahre

Sämtliche Echos: Jugendgruppe TAK - Thalwil, Adliswil, Kilchberg

Text: Matthias Altmann, katholisch.de