2010 haben wir mit einem Themenheft über sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche berichtet. Damals habe ich in meinem Editorial die rhetorische Frage gestellt: «Schon wieder? – Muss das sein?» Meine Antwort hat sich lediglich um ein zweites Ausrufezeichen verändert: «Ja, es muss!!»
Seit über zwanzig Jahren beschäftigt mich das Thema Missbrauch. Ich habe dazu einiges geschrieben, viel gelesen und viel gehört. Trotzdem reicht das noch lange nicht. Ich will und kann mich nicht mit einem müden «Jetzt reicht's!» selbst entlasten. Immer wieder muss ich mich fragen: Bin ich nun wirklich genügend informiert? Oder bin ich bloss bequem?
«Aber wir wissen doch längst, dass es in der katholischen Kirche Missbrauch gibt.» Diese pauschale Anerkennung von Verbrechen und Ungerechtigkeit reicht nicht und darf niemals reichen. Deshalb ist die historische Studie so wichtig, deren Vorstudie am 12. September präsentiert wird. Deshalb sind Zeugnisse von Betroffenen so notwendig. Pauschalisierungen werden dem Leid und der Ungerechtigkeit nicht gerecht, den Missbrauch Menschen zufügt.
Es muss deshalb unbedingt sein, dass wir immer wieder aufmerksam hinschauen und hinhören. Das sind wir Jesus Christus schuldig, der nichts so sehr betont wie die Würde jedes einzelnen Menschen. Bei ihm gibt es keine Abkürzungen, keine Ungeduld des Herzens, mit der Dinge nur deshalb aufgearbeitet werden, weil man sie als erledigt loswerden will.
Jesus hat uns nicht das pauschale Gebot «Liebe die Menschheit!» mitgegeben. Sein Gebot fordert ungleich mehr: «Liebe deinen Nächsten!»