Wie in Europa, so sinken auch in den USA die Mitgliederzahlen der grossen Glaubensgemeinschaften, was landesweit zu Kirchenschliessungen führt. Pro Jahr müssen etwa 3500 Gemeinden in den USA die Türen schliessen. Keine Kirchgänger bedeutet kein Geld für die Miete. Kirchensteuern oder andere Einnahmen gibt es nicht, so bleibt den Gemeinden bei Mitgliederschwund keine Wahl – sie müssen verkaufen. Oft verkaufen sie an den Höchstbietenden und dann werden sakrale Gebäude zu luxuriösen Loftwohnungen umgebaut. Einige Kirchgemeinden versuchen, den sozialen Charakter des Gebäudes beizubehalten. Statt Lofts lassen sie subventionierte Wohnungen, Schulen oder Künstlerateliers in das ehemalige Gotteshaus bauen.
Andernorts werden Kirchen zu Bars, Veranstaltungshallen oder Restaurants. Die grossen Hallen eignen sich für Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, und so wird dort weiterhin communio (Gemeinschaft) gefeiert, wenn auch auf andere Art. Im Café Appalachia beispielsweise, der vormaligen methodistischen Kirche St. John in South Charleston, West -Virginia, kochen Frauen, die sich von der Opioidkrise erholen. Der frühere Pastor Reverend Cindz Briggs-Biondi sieht im Appalachia ein neues Heiligtum der anderen Art entstehen und Stammgast Ronnie Skeens ist überzeugt: Wenn Jesus heute auf der Erde wäre, würde er mit den Frauen in der Küche kochen.
Andere Kirchen bleiben kulturelle Stätten. In San Francisco wurde die ehemalige Christian Science Church von der gemeinnützigen Organisation Internet Archive aufgekauft. So kam es, dass die ehemalige Kirche heute ein Internet-Archiv ist, auf deren Server jedermann von überall zugreifen kann.
Es gibt aber auch das umgekehrte Phänomen, dass ehemalige Ladenflächen, Kinos oder Shopping-Malls zu sakralen Räumen werden. Insbesondere die charismatischen Kirchen kennen den Wert passender Räumlichkeiten. Sie verkleinern oder vergrössern sich flexibel, um zu vermeiden, dass sich die Gläubigen in einer halb leeren Kirche verloren fühlen. In den grossen Metropolen ist es oft günstiger, ein bestehendes Gebäude umzunutzen, statt abzureissen und neu zu bauen. Umweltfreundlicher ist es ohnehin. So kommt es, dass man in Boston hier und da an einem Schaufenster vorbeigeht, hinter dem gerade ein Gottesdienst gefeiert wird. Wer zu lange davor steht und neugierig zusieht, wird einfach eingeladen, mitzufeiern.
Kirchen können viele Gestalten haben. Und Gottes Geist kann in ihnen weiterleben, selbst wenn drinnen schon lange keine Gottesdienste mehr gefeiert werden.