Darf ich andere segnen?

Eine gute Frage

Darf ich andere segnen?

Segnen dürfen doch sicher nur Seelsorgerinnen und Seelsorger, fragte mich kürzlich ein Teilnehmer eines Bibliodrama-Kurses mit zweifelndem Unterton.

Ich wollte die Fragen auf keinen Fall nur fachlich beantworten. So erzählte ich ihm von einer Erfahrung in einem Bibliodrama, in dem ich selbst mitgespielt hatte. Es ging da um die Geschichte im Lukas-Evangelium, wo die Frauen zum Grab eilen, um den Leichnam Jesu zu salben:

Wir haben die Rollen von Johanna, Maria, der Mutter des Jakobus und von zwei Jüngerinnen gewählt. Wir gehen mit unserem Salböl zum Grab. Wir sehen keinen Leichnam. Vergebens unsere Salben, mit denen wir ihm noch einmal nahe sein wollten. Wir wollen den Gekreuzigten berühren, ihm seine Würde zurückgeben als König, Priester und Prophet, als Freund, Lehrer und Geliebter.

Wir hören die Stimme aus dem Grab. Diese Rolle hatte ein weiterer Mitspieler gewählt: «Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier!»

Wir stehen wie bestellt und nicht abgeholt. Mit unserem Salböl in der Hand. Wir hören wieder die Stimme: «Erinnert ihr euch nicht, was er gesagt hat, als er noch bei euch war?»

Wir erinnern uns und erzählen einander von unseren Erfahrungen. Wie uns die Worte Jesu aufgerichtet haben: «Steh auf und geh umher!», «Stell dich in die Mitte!» Wie uns seine Fragen in Bewegung brachten: «Was willst du, dass ich dir tun soll?», «Wen suchst du?», «Warum weinst du?» Wie seine Klarheit und Zuwendung heilsam wirkte in Menschen, die krank waren, einsam oder verachtet. Wie wir in der Nachfolge aneinander und miteinander gewachsen waren.

Wir sind vertieft in diesem persönlichen Austausch. Wir kommen dabei immer mehr in persönlichen Kontakt, immer mehr in Beziehung – die Salben immer noch ungenutzt in unseren Händen. Und dann liegt es auf einmal in der Luft und eine spricht aus, was alle empfinden: «Salbt einander! Segnet einander! Ihr braucht diese Kraft für euren Weg als Zeuginnen der Auferstehung!»

Auf einmal liegt es so klar auf der Hand: Segnen und Salben sind in unsere Hände gelegt. Und so salben und segnen wir einander, wie wir den Leichnam gesegnet hätten. Wir bestätigen unsere prophetische, priesterliche und königliche Würde, zu der wir berufen sind.

Der Kursteilnehmer fragt mich: Gilt das auch ausserhalb des Bibliodramas – oder ist das nur eine schöne, persönliche und nicht allgemeingültige Geschichte? Und so antworte ich: Segnen und Salben gehören zu unserer Berufung als Christinnen und Christen. Meine Mutter segnete uns Kinder jeden Morgen, bevor wir zur Schule gingen. Meine Freundin segnet heute noch jeden Brotlaib, bevor sie ihn anschneidet, und erinnert sich daran, dass Gott unser tägliches Brot sein möchte. Durch Taufe und Firmung sind wir selbst schon Gesalbte und Gesegnete. Durch uns geht es heute weiter. Wir sind als Getaufte und Gefirmte beschenkt mit der prophetischen, priesterlichen und königlichen Würde.

Einander segnen, auf Lateinisch «bene-dicere», Gutes zusprechen, ist eines vom Schönsten, Tiefsten und Liebevollsten, was Menschen einander schenken können.

Text: Claudia Mennen