Gemeinsam beten gibt Kraft

Reportage

Gemeinsam beten gibt Kraft

Gemeinsames Gebet ist ein Bedürfnis: Gebetsgruppen entstehen neu. Die ­Möglichkeit, Gebetsanliegen – auch digital – an Klöster und Gemeinschaften zu übermitteln, wird rege genützt.

Es ist kurz vor 18 Uhr an einem Mittwoch in Winterthur. Vor dem Eingang der katholischen Kirche St. Peter und Paul, Ecke Tellstrasse und Wartstrasse, hat Margrit Ruckstuhl schon einige Stühle aufgestellt. Gerade ist sie dabei, die roten Grabkerzen anzuzünden, die sie auf dem Boden zu einem Kreuz formiert hat. Doch der Wind ist an diesem Abend ein wenig hinterlistig. Immer wieder bläst er die Dochte aus.

Die Pensionärin ist seit einiger Zeit Leiterin der Winterthurer Gruppe von «Die Schweiz betet» – einer von mittlerweile insgesamt 145 Gruppen unterschiedlicher Grösse der Schweizer Initiative. Diese wurde im Dezember 2021 nach dem Vorbild der Gruppierung «Österreich betet» in St. Margarethen TG ins Leben gerufen. Immer mittwochs treffen sich in Winterthur bis zu fünfzehn Männer und Frauen, um regelmässig zusammen und hörbar in der Öffentlichkeit den Rosenkranz zu beten. Im Sommer vor der Kirche und im Winter meistens in dieser.


Für den Frieden und das Leben

Margrit Ruckstuhl erklärt, wofür sie dabei beten würden: «Für den Frieden und für den Lebensschutz von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Das ist unsere Botschaft». Die Winterthurer Leiterin ist überzeugt davon, dass das gemeinsame Gebet wirkungsvoll sein wird – gerade in Zeiten des Angriffskriegs gegen die Ukraine – aber nicht nur dann. «Ich bin katholisch aufgewachsen und habe schon viele Male erlebt, dass mir mein Vertrauen in den Glauben weitergeholfen hat», sagt sie.

Die Pensionärin ist deshalb überzeugt davon, dass viele unterschiedliche Menschen zusammen «mit dem Gebet im frohen Glauben sehr vieles unterstützen können». Deshalb wird unter dem Patronat des Vereins «Die Schweiz betet» auch nicht nur in Winterthur, sondern in vielen anderen Städten in der Schweiz sowie in Österreich und weltweit in über 30 Ländern gemeinsam gebetet. Immer am selben Tag um die gleiche Zeit. Dieses länderübergreifende Gebet gebe Margrit Ruckstuhl viel Kraft, betont sie.

Inzwischen hat der Wind vor der Kirche ein wenig nachgelassen. Die Grabkerzen brennen. Der Stuhlkreis steht. Darauf verteilt sind die Gebetsblätter. Im Hintergrund hängt die Schweizer Fahne mit dem Bildnis des «Landesvaters» Bruder Klaus, dem Logo des Vereins. Langsam treffen die Beteiligten ein. Die ebenfalls aus Winterthur stammende Susanne Schnyder ist als Erste vor Ort. «Ich bin seit einem halben Jahr in der Gruppe dabei. Ich bete viel für mich allein, aber manchmal auch gerne mit anderen zusammen. Dadurch wird das Gebet nochmals verstärkt», meint sie.

Das sei auch der Grund, warum sie sich mit ihren Gebetsanliegen auch schon an verschiedene Klöster gewandt hätte. «Ich habe dort angerufen und mein Anliegen vorgetragen», sagt Susanne Schnyder. «Der Gedanke daran, dass eine ganze Ordensgemeinschaft für meine Herzensangelegenheiten mitbetet, lässt diese in die richtigen Bahnen lenken».


Mitteilungsbedürfnis ist stark

Im Kloster Einsiedeln ist es ebenfalls möglich, ein solches Gebetsanliegen zu platzieren. «Anliegen und Sorgen, aber auch Dank auszusprechen, gehört zum Grundvollzug des christlichen Glaubens. Wallfahrtsorte wie Einsiedeln bilden dafür den idealen Rahmen», erklärt Wallfahrtspater Philipp Steiner. Deshalb finde sich schon seit dem Ende der 1990er-Jahre in der Klosterkirche unter dem grossen Kruzifix ein Anliegen-Buch.

Auch könne eine Kerze bei der Gnadenkapelle angezündet werden, was via Online-Formular ebenfalls möglich sei. Wer möchte, dass die Mönche in einem spezifischen Anliegen für andere beten, kann dieses ebenfalls telefonisch, per Mail oder Brief mitteilen. In der Wallfahrtssaison von Mai bis Oktober würde ein 150 Seiten umfassendes Anliegen-Buch «für nicht einmal zwei Wochen reichen», sagt der Pater. Er stelle fest, dass es ein starkes Bedürfnis mancher Gläubigen danach gebe, ihre Anliegen schriftlich niederzuschreiben oder sie jemandem anzuvertrauen.

Diese Wünsche seien dabei so unterschiedlich wie die Menschen, die diese nach Einsiedeln bringen. Oftmals gehe es darin um die Bitte nach Gesundheit oder Heilung, dem Wohlergehen der Familie, Erfolg in Schule und Beruf, den Glauben von Kindern und Enkeln oder den Abschied von Menschen. «Es gibt nichts, was vor Gott nicht zur Sprache gebracht werden darf – freilich können wir Gott nicht vorschreiben, wie er dann eingreifen soll», so Pater Philipp Steiner.


Hoffnung auf Veränderung

Eine weitere Möglichkeit, Mitbeterinnen und Mitbeter für persönliche Anliegen zu finden, ist die Online-Gebetswand der Heilsarmee Schweiz. Hier wird das Gebet allerdings von keiner Glaubensgemeinschaft unterstützt, sondern von vielen Einzelpersonen. Jede und jeder kann dort seine Bitte oder Herzensangelegenheit in Deutsch oder Französisch schildern, auch anonym.

Daraufhin haben andere Internetnutzer der Webseite die Möglichkeit, ein bestimmtes Anliegen mit einem Gebet zu unterstützen oder einen Zuspruch zu schicken. Zudem können die Gebetsanliegen auch via Social Media geteilt werden, um ein grösseres Publikum zu erreichen. «Die verschiedenen Anliegen treffen via Online-Formular bei uns ein», erklärt Angelika Marti-Gugler von der Heilsarmee. Sie betreut die Gebetswand seit fast fünf Jahren, erst als Leiterin, nun als Mitarbeiterin.

Jedoch würden die bis zu 20 monatlichen Anliegen erst geprüft und nicht automatisch aufgeschaltet. Es gebe eine Zeichenbeschränkung und einen Kodex, nachdem die Beiträge bewertet würden. «Rassistische und beleidigende Kommentare schalten wir natürlich nicht auf. Ebenso wenig suizidale Zuschriften, wenn von Gewalterfahrungen die Rede ist oder der Verdacht auf eine psychische Erkrankung besteht. In diesen Fällen schreiben wir den Menschen zurück und verweisen sie an andere Beratungsstellen», erklärt Angelika Marti-Gugler.

Die Bandbreite der Menschen, die hier ihre Anliegen hinterlassen, und diejenige der Wünsche selbst sei sehr gross, sagt sie. «Es sind fast immer Hoffnungen damit verbunden, dass sich etwas ändert.» Interessant sei auch, dass sich bei ihnen viele junge Menschen mit ihren Gebetsanliegen melden würden. Die Religionszugehörigkeit stehe dabei nicht im Vordergrund. «Es geht weniger darum, wie man glaubt oder an welchen Gott. Das Gebet verbindet alle.»

Dem stimmt auch Benjamin Aepli zu, der der Gründer ist von «Die Schweiz betet». Er ist an diesem Abend in Winterthur ebenfalls in der Gebetsgruppe anwesend. «Die Erfahrung der christlichen Geschichte lehrt uns, dass in Europa immer wieder in Krisenzeiten das Volk öffentlich miteinander gebetet hat. Auch innerhalb der Kirche sind wir heute in verschiedene Lager gespalten. Wir reden viel über Gott, aber zu wenig zu ihm. Das sollte wieder mehr in den Fokus gerückt werden», so Benjamin Aepli.

Text: Sarah Stutte, kath.ch