Seine Zweifel an meinen Exerzitien gaben mir zu denken. War der Rückzug in die Stille ein Luxus, eine Abkehr von der Welt und von anderen Menschen, die meine Hilfe brauchen könnten? Im Nachhinein kann ich sagen: Nein. Die intensiven Zeiten mit Stille, Schriftmeditation und Gottesdienst haben mich sensibilisiert für die Not anderer und mich auch freier gemacht, auf sie einzugehen. In diesem Fall hat Beten geholfen.
Meistens helfen Gebete aber nicht. Das Schulkind bekommt trotz flehender Stossgebete im Test keine gute Note. Kurz vor der Ernte schert sich der Hagel nicht um den Wettersegen. Menschen bleiben krank und sterben, obwohl andere für ihre Gesundung beteten.
Wer in einem gewöhnlichen Gottesdienst aufmerksam die Fürbitten verfolgt, könnte meinen, Gott wisse nicht, was in der Welt zu tun wäre – oder er wisse es zwar, müsse aber noch zum Handeln bewegt werden: «Gib den Regierenden Weisheit, damit bald Frieden einkehrt.» Welches Gottesbild steht eigentlich hinter einer solchen Gebetssprache? Ich jedenfalls kann nicht glauben an eine rätselhafte Wunscherfüllungsmaschine, die die Not erst wendet, wenn genug Beterinnen und Beter den richtigen Knopf gedrückt haben. Zumal auch auf das selbstloseste, dringendste Anliegen meist kein übernatürliches Eingreifen folgt.
Dennoch ist mir das Gebet so wichtig wie das tägliche Brot. Denn «Beten» klingt im Deutschen zwar ähnlich wie «Bitten», umfasst aber noch viel mehr. Wer betet, tritt in einen anderen Raum. Vielleicht hört er oder sie darin die eigene Stimme, die sich ausdrückt in Dankbarkeit, Klage oder Not. Betend kann man sich ehrlich machen. Das ist schon viel. Zur Ehrlichkeit gehört auch, die eigenen Grenzen anzuerkennen. Meine Mitverantwortung ist gross – dort, wo sie endet und die Ohnmacht beginnt, haben Fürbitten einen Sinn.
Der Raum des Gebetes ist aber mehr als eine Echokammer. «Plappert nicht», riet Jesus den Seinen. Dass er viel betete, ist bekannt. Dabei scheint er aber nicht viele Worte gemacht zu haben. Jedenfalls sind nur wenige ausformulierte Gebete von ihm überliefert. Ganz sicher verstand sich Jesus aber gut auf das, was in jedem Kommunikationsraum entscheidend ist: das Hören.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich höre im Gebet keine Stimmen. Aber manchmal spricht mich etwas an, oder eine Gewissheit ruft sich spürbar in Erinnerung. Ich habe einen Einfall, finde Ruhe, Zuversicht oder Kraft. Beten kann ins Handeln führen, und Handeln kann eine von vielen Gebetsweisen sein. Das Gebet wirkt sich aus. Gleichzeitig bleibt sein Raum zweckfrei. Wenn ich bete, damit es nützt, nützt es sicher nichts. Doch gilt sonst, was Albert Schweitzer (1875 – 1965) sagte: «Gebete verändern die Welt nicht, Gebete verändern den Beter, und Beter verändern die Welt.»