Anno Domini 1144: Hoch hinaus in der Gotik

Kirchengeschichte kompakt

Anno Domini 1144: Hoch hinaus in der Gotik

Im Jahr 1137 gab Abt Suger einen folgenreichen Bauauftrag: den Umbau seines Klosters, das nördlich von Paris in Saint-Denis lag.

Die 1144 eingeweihte Kirche gilt als Beginn eines neuen Baustils, der über 350 Jahre lang die Architektur in Europa dominierte.

Erstmals wird ein Kreuzrippengewölbe mit Spitzbögen gebaut. Das war eine bautechnische Meisterleistung, mit der Kirchen eine ganz neue Statik erhielten. Nun konnte man in ungeahnte Höhen bauen und die Wände von ihrer Stützfunktion entlasten. Das wiederum ermöglichte den Einbau grosser Fenster. Dadurch konnten Kirchen von natürlichem Licht durchflutet werden.

Saint-Denis war bereits seit 564 ein bedeutender Ort, denn hier wurden die fränkischen Könige beerdigt. Fast 900 Jahre lang kamen praktisch alle französischen Könige hier zur letzten Ruhe.

Die Bauwerke des Hochmittelalters wurden im Laufe der Jahrhunderte immer gewagter und spektakulärer. Die farbigen Glasfenster waren von einer Kunstfertigkeit, die nie mehr übertroffen werden sollte. Noch heute strömen Touristen staunend durch diese Monumente jener Epoche. Sie verlangen allerdings auch einen sehr aufwändigen Unterhalt. An den meisten Kathedralen wird nach wie vor permanent erneuert und geflickt.

Das Wort «Gotik» ist übrigens Ausdruck tiefster Verachtung: Der Kunsthistoriker Giorgio Vasari, ein Vertreter der Renaissance, beschrieb den Baustil  um 1550 als barbarisch, genauso ungehobelt wie die Goten, die einst in Italien eingefallen waren. Und der Name blieb haften, selbst als die Gotik längst wieder rehabilitiert war.

Text: Thomas Binotto