Wie ist Gott allmächtig?

Eine gute Frage

Wie ist Gott allmächtig?

Ganz selbstverständlich wird oft davon gesprochen, dass Gott allmächtig sei. Wie lässt sich diese «Allmacht» aus einem reflektierten, erwachsenen Glauben heraus verstehen? 

Jedes Kind lernt, wenn es einen Religionsunterricht besucht, dass Gott selbstverständlich allmächtig ist. Auch in Gottesdiensten richten sich Gebete oft an den «allmächtigen, ewigen Gott». Aber was soll es genau heissen, dass Gott allmächtig ist?

In der Film-Komödie «Bruce Almighty» verleiht Gott der Hauptfigur Bruce, gespielt von Jim Carrey, seine ganze Macht. Bruce kann fortan Suppenlöffel herbeizaubern, schnell ein paar Wolken am Himmel wegwischen, seinen Hund dazu bringen, die Toilette zu benutzen und für freie Fahrt sorgen, indem er eine stehende Autokolonne mit einem Handstreich beiseiteschiebt. Das sorgt im Film für allerlei skurrile Momente und vor dem Fernseher für amüsante Unterhaltung – weil wir genau wissen, dass Gott eben gerade nicht so handelt.

Die meisten gläubigen Menschen würden wohl sagen, dass sie in ihrem Alltag keine göttlichen «Zaubertricks» erleben. Auch wenn wir den Lauf der Dinge in der Natur betrachten, entdecken wir dort keine spektakulären Eingriffe Gottes. Gott heftet nicht mal schnell – wie Bruce – ein paar neue Sterne an den Nachthimmel oder erfindet eine neue Blumensorte aus dem Nichts.

Ich jedenfalls verstehe Gottes Allmacht anders – sowohl im grossen Ganzen der Welt wie auch im Kleinen meines Alltags. Gott entlässt uns und seine ganze Schöpfung in unser eigenes Abenteuer. Gott greift nicht durch, er erhält. Gott macht nicht, er macht möglich. Gott zwingt keine Wege auf, er lockt vom Horizont her. Und zwar lockt er zu einem «Mehr» an Leben: Zu gelassenerer Offenheit, tieferer Verbundenheit, grösserer Empathie und zu kreativer Freiheit. Aber ist Gott dann überhaupt noch allmächtig? Ja, so erst recht! Gott ist all-mächtig, indem er seine Macht mit allen teilt. Er verleiht Lebenskraft und Selbstwirksamkeit. Der Kosmos ist keine Diktatur. Jesus bot keine One-Man-Show. Die Bibel widerspricht jeder willkürlichen und unterdrückenden Machtausübung.

Und wie erweist sich Gottes Macht konkret? Das illustriert zum Beispiel die biblische Szene von Elija am Berg Horeb. An Elija ziehen ein Sturm, ein Erdbeben und ein Feuer vorbei. Aber Gott begegnete Elija nicht in diesen gewaltigen Phänomenen, sondern in dem, was nachher folgt: In der Stimme einer hauchdünnen Stille – wie es der Benediktiner Wilhelm Bruners ausdrückt. Diesem vibrierenden Schweigen vertraut Elija seine Verzweiflung an und vernimmt einen neuen Sinn.

Die Szene ist beispielhaft: Stille kann ins Bewusstsein aufsteigen lassen, was vorher nur keimhaft und unbewusst oder unterdrückt da war. Wer Gott aufrichtig sucht und sich dazu in die Stille wagt, der erlebt zuerst vielleicht auch nur bebende Unruhe und ein Gedanken-Feuerwerk. Sind diese aber einmal vorbei, dann kehrt Stille ein. Stille, die tieferes Verständnis schenkt, neue Perspektiven aufzeigt und die befähigt, ja ermächtigt zu einem wirklichen «Mehr».

Text: Christian Schenker, Student der Theologie