Mit Allah und Gott am Spitalbett

Porträt

Mit Allah und Gott am Spitalbett

Seit 2018 ist im Kanton Zürich auch muslimische Spitalseelsorge möglich – auf Abruf und ehrenamtlich. Dank einem neuen Lehrgang und der Koordination des Vereins Quams.

«Eine Frau lag im Sterben, als ihre erwachsenen Kinder – wie ihre Mutter Muslime – mich holten», erzählt der muslimische Seelsorger Muris Begovic von einem seiner Einsätze. Die lebenserhaltenden Apparate sollten abgestellt werden und die Angehörigen wünschten dabei eine seelsorgerliche Begleitung. «In solchen Situationen kann es wichtig sein, dass eine Person der eigenen Religion anwesend ist», ergänzt der Imam. 

Seit 2018 ist es im Kanton Zürich möglich, auch von muslimischen Seelsorgenden begleitet zu werden. Der Verein Quams, Qualitätssicherung der Muslimischen Seelsorge Zürich, dessen Geschäftsführer Begovic ist, koordiniert diese Einsätze. Die Seelsorgenden arbeiten ehrenamtlich, sind während 365 Tagen rund um die Uhr verfügbar und werden über einen Notruf von der christlichen Seelsorge oder direkt von den Spitälern aufgeboten. «Der Bedarf nimmt mit steigendem Bekanntheitsgrad zu», erklärt Begovic. Letztes Jahr waren es rund 300 Einsätze. Nicht nur in Spitälern, auch Blaulichtorganisationen und Alters- und Pflegeeinrichtungen haben vermehrt Bedarf.  

Angebot im Spitalalltag

In drei Institutionen im Kanton Zürich läuft aktuell ein Pilotprojekt mit muslimischen Seelsorgenden, die wie ihre christlichen Kolleginnen und Kollegen vor Ort angestellt sind, um nicht nur in Notfällen, sondern auch im Spitalalltag für Gespräche, Begleitung und für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Spitalpersonal zur Verfügung zu stehen. 

Seit 2021 bietet das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft in Fribourg einen CAS-Lehrgang für muslimische Seelsorgende an. Dabei stehen Reflexion und Diskussion über religiöse Praktiken und Feste in den Religionen ebenso im Pflichtenheft wie regelmässige Fallbesprechungen. «Bei den Begleitungen können durchaus auch unterschiedliche Gepflogenheiten und Glaubensansätze aufeinandertreffen», meint Begovic. Wünsche ein Patient etwa, dass ihm jemand aus dem Koran vorlese, gehöre es oft dazu, dass der Seelsorger dem Patienten die Hand halte. «Berührungen sind in der Spitalseelsorge heutzutage eher unüblich. In diesem Kontext machen sie aber durchaus Sinn.» 

Zum Mentoring gehören auch sechzig Stunden Praktikum, bei dem die christlichen Seelsorgenden ihre muslimischen Kollegen begleiten. «Stellen Sie sich vor: Ein christlicher Seelsorger mit Kreuz und eine muslimische Seelsorgerin mit Kopftuch stehen am Krankenbett und stellen sich gemeinsam vor», sagt Begovic stolz. «Das ist stärker als jede Botschaft vom Papst mit einem Mufti oder sonstigen Religionsführern.» Für Muris Begovic ist klar: Wenn auch der interreligiöse Dialog auf der theoretischen Ebene etwas ins Stocken gekommen sei, so finde jetzt ein praktischer Dialog statt. «Ein schönes Licht, das am Himmel des interreligiösen Dialoges leuchtet», meint der Imam.

Text: Beatrix Ledergerber