Ist Grosi im Himmel?

Eine gute Frage

Ist Grosi im Himmel?

Wenn Kinder darüber nachdenken, wo denn nun ihre verstorbenen Lieben sein könnten, wird es meist spannend. Vor allem, wenn Erwachsene versuchen, darauf zu reagieren.

Der schlichte Sarg war vor dem Altar aufgebahrt, Grosi war verstorben. Unsere Familie sass in der ersten Reihe rechts und links vom Mittelgang. Neben mir Ludwig, mein Neffe, 5 Jahre alt. Ludwig hatte Grosi immer gern im Altenheim besucht. «Grosi, Ludwig ist da!», rief er jeweils voller Enthusiasmus beim Betreten des Zimmers. Und dann durfte er auf Grosis Rollator sitzen. In die Stille vor der Abdankung fragte Ludwig nun: «Ist Grosi jetzt dort in der Dose?»

Diese Frage von Ludwig fand ich leicht zu beantworten. Schwieriger ist die Frage, ob Grosi denn «im Himmel» sei. Ich liebe es ja, wenn Kinder darüber philosophieren, wo ihre Vorfahren nach ihrem Tod sein mögen. Justus zum Beispiel, vier Jahre alt, hatte seinen Urgrossvater gar nicht gekannt. Dennoch sagte er unvermittelt während des Lego--Spielens: «Der Uropa ist im Himmel oben, oder?» Dabei hob er den Kopf und schaute zur Zimmerdecke. Ich war auf solch eine Frage nicht vorbereitet gewesen. Ich antwortete: «Ich glaube nicht! Da oben ist es viel zu voll: Flugzeuge, Satelliten und so. Und darüber Sterne und Planeten.» Während ich das aussprach, erschrak ich über meine eigene allzu nüchterne Antwort. Um sie etwas abzumildern, fügte ich hinzu: «Weisst du, -Justus, ich sage lieber: Uropa ist jetzt in Gottes Hand. Das ist viel schöner! Nicht da oben, wie so ein Flugzeug.»

Welche Hoffnung hegen wir für unsere Toten? Was bedeutet aus theologischer Sicht der Glaube an die Auferstehung des Leibes? Reicht es, zu wissen, dass in biologischer Sicht nichts Materielles verloren geht: Der Staub, zu dem wir zurückkehren, bleibt ja im Universum erhalten?

Ich halte es gerne mit dem reformierten Theologen, Pfarrer und Poeten Kurt Marti. Er schreibt in seinem kleinen Büchlein «Heilige Vergänglichkeit»: «Gott ist unser Jenseits». Mir gefallen diese schlichten Worte. Für mich habe ich sie ergänzt: Gott ist mein Diesseits und mein Jenseits. – Ich brauche nicht mehr. Mehr muss ich nicht wissen.

Eine andere Geschichte, die mir nicht mehr aus dem Sinn geht: Meine Schwiegermutter wurde schwächer und schwächer. Bei einem meiner letzten Besuche fragte sie mich: «Meinst du, ich sehe meinen Ehemann im Himmel wieder?» Ich spürte ihre Angst und ihre Sehnsucht, die in dieser Frage mitschwangen. Ich wollte eigentlich nicht antworten und meinte doch, mich als Theologin nicht um eine Antwort herumdrücken zu können. Deshalb, um sie zu schonen und mich, sagte ich: «Bestimmt siehst du Hans im Himmel wieder!» Die Erinnerung an diese Begegnung geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil meine Antwort nicht ehrlich war. Ich habe mit dieser Antwort meine Schwiegermutter nicht ernst genommen. Warum, frage ich mich, habe ich nicht, anstatt zu antworten, vielmehr gefragt, was sie bewegt?

«Ist Grosi dort in der Dose?» Ludwig hat sich damals die Frage selbst beantwortet. Als sich die Tür der Sakristei öffnete, sagte er: «Jetzt kommt der Grossvater und holt Grosi heim. Und dann fliegen sie beide in den Himmel!» Amen. So sei es!

Text: Claudia Mennen