Wenn einer etwas tut …

Reportage

Wenn einer etwas tut …

Was kann eine einzelne Person schon gegen den Klimawandel tun? Zum Beispiel bewirken, dass ein ganzes Pfarreizentrum bis 2026 klimaneutral und bis 2035 klimapositiv wird.

«Ich bin oft hier im Pfarreizentrum von St. Anna Opfikon-Glattbrugg, früher als Jubla-Leiter und jetzt als Präses», erzählt der heute 36-jährige David Sichau. Jubla ist der Kinder- und Jugendverband «Jungwacht Blauring», dessen einzelne Scharen meist in Pfarreien beheimatet sind. In St.  Anna Opfikon-Glattbrugg sind das aktuell rund 50 Kinder und 15 junge Leiterinnen und Leiter. Wöchentlich treffen sich die Leitenden zu ihrem «Höck» in der Pfarrei, alle zwei Wochen bevölkern die Kindergruppen am Samstag das Pfarreigelände. Mittendrin David Sichau, der 2008 hierher gezogen ist und gleich als Leiter einstieg. Seit 2018 stellt er als sogenannter «Präses» die Verbindung zwischen der Jubla und der Pfarrei sicher und unterstützt «als Backup, also nur wenn nötig», wie er sagt, die Aktivitäten der jungen Leitenden. «Ich gehe also regelmässig hier ein und aus und habe mich immer darüber aufgeregt, dass wir hier unglaubliche Dachflächen haben, die wunderbar besonnt werden, mit denen wir aber nichts machen.» Sensibilisiert für dieses Thema war David Sichau durch sein Studium «Interdisziplinäre Naturwissenschaften» und die Auseinandersetzung «mit den aktuellen Problemen, die wir Menschen verursachen», wie er sagt.


40fache Wirkung

Als Mieter sei er sehr eingeschränkt, sagt David Sichau. Da, wo er wohne, passiere nichts: «Da ist sogar noch eine Ölheizung drin.» Irgendwann dämmerte es ihm: «Wenn ich die Kirchgemeinde davon überzeuge, klimaneutral zu werden, dann ist die Wirkung so gross, wie wenn ich 40 Einfamilienhaus-Besitzende dazu bringe, nachhaltig zu sanieren.» Also hat er an der Kirchgemeindeversammlung vom 22. November 2021 eine Einzelinitiative eingereicht mit der Forderung, die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um bis 2030 klimaneutral und bis 2035 klimapositiv zu sein – bis dahin also sauberen Strom sogar abgeben zu können. Seine Initiative wurde einstimmig angenommen. «Natürlich war an jener Kirchgemeindeversammlung das Durchschnittsalter deutlich tiefer als gewöhnlich, und es hatte auch mehr Anwesende», erinnert er sich und lacht. «Wer in der Jubla stimmberechtigt war, ist aufmarschiert.»

Co-Gemeindeleiter Thomas Lichtleitner, Liegenschaftsverwalter Rosario Vitanza und Jubla-Präses David Sichau (v. l. n. r.) freuen sich über die grosse Zustimmung der Kirchgemeinde zum Vorhaben «bald klimaneutral» und «bis 2035 klimapositiv». (Foto: Manuela Matt)

Wenn schon nachhaltig, dann richtig

Dass der Antrag dann sogar einstimmig angenommen wurde – damit hätte auch David Sichau nicht gerechnet. Und erst recht nicht, dass er damit den Anstoss zu einer nachhaltige Gesamtsanierung von Pfarreizentrum und Kirche gegeben hat. «Ich dachte an eine Solaranlage auf dem Dach und Biogas zum Heizen», erinnert er sich. Doch die Kirchenpflege liess es nicht dabei bewenden. Liegenschaftsverwalter Rosario Vitanza: «Wir sagten uns: Wenn schon nachhaltig, dann richtig. Unsere Gebäude sind aus den 1970er-Jahren. Sie wurden gut gepflegt, aber eine Gesamtsanierung wäre früher oder später sowieso nötig geworden.» Daher hätten sie an der Kirchgemeindeversammlung 2022 um Aufschub gebeten, um ein Gesamtkonzept zu erarbeiten. «Es gab extrem viele zusätzliche, unerwartete Faktoren wie zum Beispiel die Statik, die wir seriös abklären mussten», erklärt Vitanza. Im Frühling 2023 wurde dann das Gesamtkonzept an einer ausserordentlichen Kirchgemeindeversammlung vorgestellt – und wiederum einstimmig angenommen. Im Wesentlichen geht es dabei um die Wärmedämmung an den Gebäuden, Solarzellen auf den Dächern sowie Wärmepumpen und Erdsonden. «Wir führen die Bauarbeiten in Etappen durch», sagt Vitanza. «Bereits 2024 ist das Forum, also das Kirchgemeindehaus mit dem grossen Saal, an der Reihe, 2025 die Kirche und 2026 die Heizung.» Gebaut werde jeweils zwischen Ostern und Martini im November, so dass die beiden grossen Kirchenfeste ohne Baulärm gefeiert werden können.

«Dass die Finanzen der Kirchgemeinde aktuell noch gut sind, hat sicher mitgeholfen, dass wir das so umfassend anpacken konnten», sagt der Liegenschaftsverwalter. Zudem gebe es von der Kantonalkirche Beiträge für nachhaltige Sanierungen, ebenso Fördergelder von Bund und Kanton. Und David Sichau ergänzt: «Der Anstieg der Energiepreise im letzten Winter hat die Zustimmung zu diesem Projekt zusätzlich gefördert.» Dass nun das Ziel «klimaneutral» sogar schon im 2026 erreicht werde, sei umso schöner, finden die beiden übereinstimmend.


Auch ökologisch nicht polarisieren

Ist St.  Anna eine Pfarrei, die besonders ökologisch unterwegs ist? Co-Gemeindeleiter Thomas Lichtleitner sagt: «Wir haben versucht, auch beim Thema Ökologie nicht zu polarisieren. Unsere Pfarrei besteht aus Menschen, von denen die meisten wegen des Flughafens hier leben: entweder wegen der hervorragenden Verkehrsanbindung oder weil es ihr Arbeitsplatz ist. Teilweise auch wegen der im Verhältnis zu Zürich günstigeren Wohnungen – was dem Fluglärm geschuldet ist», erklärt er. Deshalb habe er nie eine Predigtreihe zum Thema Ökologie gemacht, und schon gar nicht würde er irgendwelche ökologische Selbstverpflichtungen vorschlagen. Umso mehr freut er sich, dass die Pfarreiangehörigen der nachhaltigen Gesamtsanierung so deutlich zugestimmt haben. «Ein Problem allerdings wird sein, dass unser grosser Pfarreisaal eine gewisse Zeit nicht benützbar ist», sagt er. Denn dieser sei der einzige bezahlbare grössere Begegnungsraum in der weiteren Umgebung, wo auch Familien- und andere Feste gefeiert werden. «Daher wird dessen Sanierung im Sommer sein, wo man eher nach draussen ausweichen kann.» Für die Feier der Gottesdienste dürfen die Katholikinnen und Katholiken während der Umbauphase die reformierte Schwesterkirche benützen, kleinere Feiern könnten auch im Kirchgemeindehaus stattfinden.

David Sichau ist in Deutschland aufgewachsen. Als Student kam er in die Schweiz und wohnte hier in Glattfelden bei seinen Grosseltern, die «Mitbegründer der Pfarrei St.  Anna waren», wie er sagt. Dass ihr Enkel mit seiner Klima-Initiative einen wichtigen Baustein zur weiteren Entwicklung der Pfarrei beitragen würde, haben sie sich bei der Gründung der Pfarrei wohl kaum vorgestellt.

Text: Beatrix Ledergerber