Anno Domini 1216 / 1223: Bettelarm – für kurze Zeit

Kirchengeschichte kompakt

Anno Domini 1216 / 1223: Bettelarm – für kurze Zeit

Im 13. Jahrhundert erfasste ein Trend Europa, der von der katholischen Kirche zunächst als unerhörter Angriff verstanden wurde.

Die Waldenser waren frühe Exponenten und gleichzeitig erste Opfer des Trends. Sie nahmen sich die Aufforderung des Evangeliums zur Armut so sehr zu Herzen, dass sie das kirchliche Establishement gegen sich aufbrachten. Die Waldenser wurden verboten – und sind deshalb heute eine protestantische Kirche der allerersten Stunde.

Als Papst Innozenz III. Anfang des 13. Jahrhunderts eine politische Wende vollzog, kam das den beiden charismatischen «Armutsaposteln» Dominikus (um 1170 – 1221) und Franziskus (1181/82 – 1226) sowie ihren Anhängern zugute. Sie gründeten unabhängig voneinander Ordensgemeinschaften, die sich in den Grundzügen sehr ähnlich waren. Die Mitglieder ihrer Orden verzichteten auf persönlichen und gemeinschaftlichen Besitz, lebten also vom Betteln. Sie traten nicht in ein Kloster ein, in dem sie zeitlebens blieben. Deshalb konnten sie nach Bedarf versetzt werden. Sie lebten nicht in kontemplativer Abgeschiedenheit, sondern mitten in den damals aufstrebenden Städten. Dort waren sie vor allem als Volksprediger und Seelsorger tätig.

1216 wurden die Dominikaner vom Papst bestätigt. 1223 die Franziskaner. 1274 war es allerdings mit dem radikalen Verzicht auf Besitz bereits wieder vorbei. Das Konzil von Lyon verbot alle Orden, die ausschliesslich von der Bettelei lebten. Und 1329 wurde das Ideal der Bettelorden von Papst Johannes XXII. weiter zurückgestutzt – die Bettelorden, ihre Ausstrahlung und ihr Einfluss waren der Amtskirche schlicht zu gefährlich geworden.

Text: Thomas Binotto