Kirchenfenster auf der Werkbank

Reportage

Kirchenfenster auf der Werkbank

In Wallisellen sind die Kirchenfenster von Ferdinand Gehr Wandgemälde aus farbigem Glas. Wie werden solch riesige Glasmalereien restauriert?

Die Gruppe aus St. Antonius steht mit grossen Augen im Vorraum zur Werkstatt. In allen Farben, Formen und Grössen leuchtet hier Glas im Spiel mit dem einfallenden Licht. Kleine Kunstwerke, farbige Scheiben, Musterglas in allen Farbnuancen hängen an der Wand oder stehen in Gestellen. Die Mitarbeiter der «Kunstglaserei & Glasmalerei Scholz» müssen mehrmals bitten, bis die Gruppe sich von ihrem Staunen lösen kann.

Hier liegen auf der Werkbank Teile der Walliseller Kirchenfenster. Sie wurden 1957 vom St. Galler Maler Ferdinand Gehr geschaffen. Allein die beiden farbigen Fenster links und rechts des Altars messen neun auf sechseinhalb Meter, insgesamt haben die Glasgemälde eine Fläche von 175 Quadratmetern. Die kleine Abordnung aus der Walliseller Kirchenpflege, der Gemeindeleiter und der Sakristan dürfen heute zuschauen, wie sie restauriert werden.


5000 Farbnuancen

Auf der ersten Werkbank werden die ausgebauten Kirchenfenster erst einmal gründlich kontrolliert. Sie liegen in sogenannte Felder zerlegt auf dem Tisch,  feine Bleirahmen halten bis zu 24 Glasfragmente zusammen. Durch die Jahre ist das Blei brüchig geworden. Dort wo es «lotterig» ist, wie Kunstglaser Patrick Scholz sagt, oder gar defekt, bezeichnet er den Bleirahmen mit Klebeband. Dann misst er die Fragmente genau ab, damit das neue Randblei exakt passt. «Die Fenster sind sehr gut ‹zwäg› für ihr Alter», betont Scholz. Nur gerade sechs kleinere Glasfragmente sind gesprungen, wegen der Witterung oder mechanischer Einflüsse. Die zerbrochenen Scheiben wechselt er aus. Das ist in dieser 60-jährigen Kunstglas-Firma kein Problem. Bei jedem Auftrag erweiterte sich das Lager aus mundgeblasenem Antikglas, so dass nun rund 5000 Farbnuancen zur Auswahl bereitstehen. Es braucht allerdings ein geübtes Auge, um den passenden Farbton zu treffen. Besonders bei historischen Scheiben, die im Laufe der Zeit ihre Farben leicht verändert haben.

Für die gesprungenen Glasfragmente werden die passenden Farbnuancen gesucht. (Foto: Christoph Wider)

Die Kunstglaserei ist eine von nur noch rund zwölf Betrieben in der Schweiz, die dieses traditionelle Kunsthandwerk beherrschen. Im Familienbetrieb, der 1965 gegründet wurde, arbeiten zwei Generationen Hand in Hand: Irene und Dieter Scholz sowie ihre Söhne Patrick und -Roger. Seit zwei Jahren führt Patrick Scholz die Firma. Rund drei Viertel ihrer Aufträge generieren sie aus dem kirchlichen Umfeld: Kunstglas ist in Gotteshäusern weit verbreitet – auch wenn nicht alle so grosse bunte Kirchenfenster haben wie die Antoniuskirche Wallisellen.


Ohne Blei geht es nicht

Am nächsten Werktisch steht Roger Scholz, der jüngere Bruder von Patrick. Mit Haushaltspapier und einem handelsüblichen Glasputzmittel wischt er behutsam über das bunte Glas der Kirchenfenster. Nach wenigen Zügen ist das Papier schwarz: Es sind die Rückstände von jahrzehntealtem Schmutz, vor allem Russ von den unzähligen Kerzen, die Gläubige in all den Jahren angezündet haben. Es braucht einiges an Papier, bis die Kondensspuren verschwunden sind und das Glas wieder glänzt. Auf den Bleiprofilen ist vor allem der alte Leinölkitt hartnäckig, mit dem die Profile die Scheiben zusammenhalten. Hier kommt feine Stahlwolle zum Einsatz. Der Effekt ist sofort sichtbar: das Blei wird deutlich heller, die Glasfenster strahlender.

Blei ist zwar giftig, aber nach wie vor der Werkstoff der Wahl für Kunstglaser.  «Kein anderes Material ist so weich und biegsam», erklärt Roger Scholz. Gerade bei handgemachtem Glas, das nie hundertprozentig gerade ist, sei das wichtig. «Blei ist ja nur gefährlich, wenn man es isst oder sich die Hände, die am Blei waren, abschleckt», sagt er. «Beim Glasmalen, wo Bleipartikel in gewissen Farben enthalten sind und eingeatmet werden könnten, tragen wir Schutzmasken.» Zudem lassen sich die Glasmaler, wie vorgeschrieben, regelmässig medizinisch untersuchen.

Roger Scholz putzt die Fenster und löst das spröde Randblei. (Foto: Christoph Wider) 
 

Gut für die Umwelt

Beim Werkstattbesuch mit dabei ist Rolf Bleuler. Der Metallbauer fertigt die Rahmen für die moderne, dreifache Isolierverglasung an, in die das Kunstglas integriert werden soll. «Das ist auch für uns ein ungewöhnlicher Auftrag. Wir haben es zum ersten Mal mit so grossen Fensterflächen zu tun», sagt er. Er hat deshalb für die aufwändige Planung einen Ingenieur beigezogen. Denn die grossen Glasflächen müssen starker Windkraft standhalten. «Zukünftige Renovationen oder Putzübungen werden kein Problem mehr sein», verspricht er. «Das Kunstglas kann innen aus den Rahmen gelöst werden, während das Isolierglas aussen bestehen bleibt.» Vor allem aber entsprechen die neu isolierten Fensterfronten aus energetischer Sicht dem neusten Standard. Das spart auf lange Sicht Betriebskosten und optimiert den Ressourcenverbrauch. Das ist ganz im Sinne des «Grünen Güggel». Beide Pfarreien der Kirchgemeinde Wallisellen liessen sich mit diesem Umweltmanagementsystem zertifizieren. Damit haben sie sich verpflichtet, ihre Umweltleistungen kontinuierlich zu verbessern.

Zum Abschluss der Werkstattbesichtigung führt Patron Dieter Scholz die Walliseller Gruppe noch ins Untergeschoss. Hier experimentiert er mit Schmelzglas. Er zieht aus einem Regal eine dicke Glasplatte, in der verschiedenfarbiges Glas ineinander geflossen ist. «So entstehen neue Farbnuancen, Formen und Strukturen», erzählt er mit leuchtenden Augen.  Jetzt, wo er die Firma seinem Sohn Patrick übergeben hat, werde er öfter hier unten experimentieren, tüfteln und staunen über die immer wieder überraschenden Ergebnisse seiner Passion Glaskunsthandwerk.

Text: Beatrix Ledergerber