Anerkennen ist mehr als Wissen

Film

Anerkennen ist mehr als Wissen

Im Filmpodium zeigt ein Dokumentarfilm exemplarisch, was im Namen der Kirche verübte Gewalt den Betroffenen antut.

Drei Männer treffen sich in einem Ferienhaus in den Bergen von Savoyen. Was zunächst nach einem Wochenendtreffen von Jugendfreunden aussieht, entpuppt sich als Vorbereitungstreffen.

Dédé, Michel und Daniel wollen das Schweigen über die Gewalt brechen, die sie in einem katholischen Kinderheim erlitten haben. Sie wurden von Priestern geschlagen, gefoltert, gedemütigt und sexuell missbraucht. Das  ist Jahrzehnte her, hat aber ihr gesamtes Leben geprägt und peinigt sie noch immer. Dass dieses sadistische Kinderheim «La Belle Étoile» hiess, klingt wie Hohn … und ist es auch.

Clémence Davigo dokumentiert die Gespräche der Männer und deren Aussagen. Sie ist auch dabei, wenn sie sich mit weiteren Betroffenen zur Aussprache mit einer Beratungsstelle der Diözese treffen. Ihre Regie verbirgt sich nicht, aber sie tritt nie in den Vordergrund. Weder mit Kommentaren noch mit aufdringlicher Dramaturgie oder Montage.

Der Film bietet pietätlosem Voyeurismus und emotionalem Vampirismus keine Nahrung. Weder im Bild noch im Ton. Es ist die Geschichte dieser Männer – sie erzählen – wir hören. An einer Stelle spricht Dédé es offen aus: Er will nicht als Opfer wahrgenommen werden. Deshalb ist es nur konsequent, dass Davigo den Tätern keine Bühne bietet. Selbst die Taten, so klar und erschütternd sie ans Licht kommen, so werden sie doch entschieden daran gehindert, ihre zerstörerische Macht ein weiteres Mal zu entfalten.

«Les Oubliés de La Belle Étoile» löst damit ein, was Michel, Dédé und Daniel unermüdlich fordern: Anerkennung. Sie erheben Anspruch auf Anerkennung der Verbrechen, die an ihnen begangen wurden. – Anerkennung dessen, was sie erlitten haben. – Anerkennung der Schuld durch Täter und Kirche. – Anerkennung von Schadensansprüchen. – Und die Anerkennung der Notwendigkeit, all das publik zu machen und in Erinnerung zu behalten.

Muss man dieses Wort «Anerkennung» wirklich so oft wiederholen? Ist Anerkennung angesichts der begangenen Verbrechen nicht viel zu bescheiden gedacht? Spätestens wenn Daniel, Michel und Dédé zusammen mit anderen Betroffenen Philippe Ballot gegenübersitzen, dem Erzbischof der Diözese Savoyen, spätestens dann wird offensichtlich, wie schwer sich die Kirchenleitung noch immer mit dieser umfassenden Anerkennung tut.

Die Zeit drängt, damit die Vergessenen, wie sie im Titel des Films stehen, eben doch nicht vergessen gehen. Diesen Überlebenden gibt Davigo das Wort und den Raum. Und damit wenigstens ein Stück der geforderten Anerkennung, auch wenn die von den Männern ungläubig immer wieder gestellte Frage ohne Antwort bleibt: Weshalb ist das uns geschehen?

Text: Thomas Binotto