Kirchen-Kulturkampf

Bericht aus Boston

Kirchen-Kulturkampf

Die Polarisierung in den USA greift in sämtliche Lebensbereiche. Auch das Verständnis von Ehe und Partnerschaft ist davon betroffen.

Die politische Szene der USA ist in zwei Lager gespalten: Republikaner gegen Demokraten, Konservative gegen Liberale. Diese Spaltung zieht sich bis in die Kirchen und der politische Kulturkampf wird langsam, aber sicher auf den Glauben übertragen. Ein aktuelles Beispiel ist die Frage, ob homosexuelle Paare zur Ehe zugelassen werden sollen. Allein in diesem Jahr verliessen über 4100 methodistische Kirchgemeinden im Streit über diese Frage ihre Mutterkirche, die United Methodist Church (UMC). Zwar verweigert die UMC Homosexuellen nach wie vor die Ehe. Liberale Kreise in ihr denken aber laut darüber nach, das zu ändern. Seit dem Beginn dieses Prozesses im Jahr 2019 hat ein Fünftel der United-Methodist-Gemeinden in den USA die Mutterkirche verlassen, aus Angst, dass diese nächstens die Homo-Ehe zulassen könnte. Die meisten dieser Gemeinden liegen im Süden und Mittwesten der USA, denn die ideologische Spaltung ist auch eine geographische.

Die UMC wickelt diese Spaltung mit Wehmut, aber gesittet ab. Bischof Thomas Bickerton, Präsident des Bischofsrates der UMC, wünscht den sich abspaltenden Kirchen Gottes Segen auf ihrem Weg. Teile der katholischen Kirche in den USA geben sich dagegen wesentlich aufrührerischer, wenn es um die Heirat zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau geht. Einer der Aufrührer im konservativen Lager in der katholischen Kirche ist Joseph Strickland, Bischof des Bistums Tyler im Osten von Texas. Er spricht auf Konferenzen überall in den USA über die Sünde der Abtreibung, seine Ablehnung gegenüber Homosexualität und seine Vorliebe für die lateinische Messe. Im September bemerkte Strickland in einem Brief an alle Katholikinnen und Katholiken, dass die Weltsynode nicht die Macht habe, Frauen zu Priestern zu weihen, da Jesus das Priestertum bewusst allein Männern vorbehalten habe. Auf der Plattform X (früher Twitter) folgen Strickland 145 000 Menschen, obwohl sein Bistum nicht einmal halb so viele Katholiken umfasst. Es sind Menschen wie Strickland, von denen Papst Franziskus im August sagte, sie stellten Ideologien über den Glauben.

Von den liberalen Katholikinnen und Katholiken dagegen wandern mindestens einige zu anderen Kirchen wie den Unitarian Universalists (UU) ab, die seit 1984 offiziell homosexuelle Paare trauen und seit 1988 transsexuelle Priester weihen. Bei meinem Besuch der First Parish Church predigte ein transsexueller Mensch über die Erfahrung, queer zu sein. Er erzählte, dass er wie Jesus abgelehnt und ausgestossen werde, in einer Gesellschaft, die es bevorzuge, Menschen in zwei Geschlechter einzuteilen. Die First Parish Church ist die älteste und einzig verbliebene UU-Gemeinde in Dorchester, Bostons südlichstem Stadtteil. In den 70ern gab es allein in diesem Stadtteil acht UU-Gemeinden. Wie andere Kirchen in westlichen Ländern verliert auch die UU Mitglieder. Doch der Mitgliederschwund ist nicht so drastisch wie in der katholischen Kirche der westlichen Welt und verläuft nicht nur in eine Richtung, sondern in Wellen, bei denen die Zahlen auch hin und wieder zunehmen. Die UU betonen Grundsätze wie das Bekenntnis zu Liebe und Frieden, gemeinsames spirituelles Wachstum und ist auch für Nicht-Christen offen.