«Do you love Jesus?» – schon mehrmals in meinem Leben begegnete mir diese Frage. Jedes Mal schwang ein Druck mit, mit einem «Ja» antworten zu müssen, um auf der richtigen Seite zu stehen. Jedes Mal fragte ich mich, warum es für einige Christinnen und Christen offenbar so bedeutsam ist, andere anhand ihrer Antwort auf diese Frage zu beurteilen. Umgekehrt begann mich mein eigenes Unwohlsein angesichts dieser Frage zu interessieren: Was stört mich daran? Und was sagt dies über mich aus und darüber, was für mich zum Christinsein gehört?
Ein erster Gegenreflex dieser Frage gegenüber hat damit zu tun, dass ich mich gedrängt fühle, mein Christinsein auf meine persönliche Beziehung mit Jesus zu reduzieren. Das ist mir gänzlich fremd. Als Getaufte verstehe ich mich hineingenommen in eine Gemeinschaft von Jesus-Nachfolgenden. In dieser Gemeinschaft gehen die Dimensionen von Menschen- und Gottesliebe weit hinaus über meinen persönlichen Kleinstkosmos und meine Beziehung zu Jesus. Die wesentliche Frage ist damit nicht, ob ich Jesus liebe. Ins Zentrum rückt die Frage, wo und wie ich mich – möglichst mit anderen zusammen – darauf einlasse, der visionären biblischen Reich-Gottes-Idee bereits im Hier und Jetzt ein Stück weit zum Durchbruch zu verhelfen.
Eine zweite Sache, die mich an der Frage irritiert, ist der Ausdruck «lieben». Liebe ist für mich ein grosses, vieldeutiges und damit auch schwammiges Wort. Kommt hinzu, dass kirchlich schon viele Grenzverletzungen im Namen der Liebe begangen worden sind. Dass es in meinem Dialekt das Verb «lieben» nicht gibt, deute ich positiv: Es zwingt mich, das grosse Wort herunterzubrechen in Sätze oder Stichworte, die mir allesamt wichtig sind als Grundlagen für eine gegenseitig tragende Liebesbeziehung.
Mir persönlich sind für eine gelingende Beziehung die fünf folgenden Punkte wichtig geworden: (1) dass beide Seiten voneinander fasziniert sind; (2) dass beide Seiten Respekt voreinander haben; (3) dass jeder und jede stolz auf das Gegenüber ist; (4) dass sich beide einander verbunden fühlen und (5) dass sich beide vertrauen.
Wenn ich Liebe so herunterbreche, wird für mich das Nachdenken darüber spannend, wie man mir oder auch anderen die Gottesliebe ansehen könnte? Vielleicht an meiner Dankbarkeit, leben zu dürfen? Am Respekt gegenüber der Welt und den Kreaturen um einen herum? An der Freude darüber, Teil des Weltganzen zu sein? An meinem Einsatz dafür, dass sich – wie in Psalm 85 umschrieben – Gerechtigkeit und Frieden küssen können? Schliesslich an meinem Vertrauen, dass nicht das Böse und Schlimme, sondern das Gute und Heilvolle das letzte Wort haben wird?