Liebe geht nicht verloren

Festbeitrag

Liebe geht nicht verloren

Von der Scheu, sich der Hoffnung auf Frieden hinzugeben, weil sie naiv erscheint - und von der Ermutigung dazu durch die Botschaft von Weihnachten, davon schreibt Felix Reich in seinem Festbeitrag. 

«Fürchtet euch nicht!», ruft der Engel den Hirten zu (Lukasevangelium 2,10). Mit der Botschaft vom Frieden auf Erden bricht das himmlische Licht ins Dunkel der Welt hinein. Doch Weihnachten und Weltlage wirken wie Tag und Nacht. Das Licht des Friedens scheint weit weg.

In Gaza befindet sich die Zivilbevölkerung in Geiselhaft der Hamas und ist den israelischen Angriffen schutzlos ausgeliefert. In Bergkarabach vollzieht sich ein christlicher Exodus. Der Ukraine steht ein nächster Kriegswinter bevor. Im Sudan tobt ein blutiger Machtkampf zwischen Armee und Paramilitärs und treibt über eine Million Menschen in die Flucht. Die Liste ist lang und unvollständig.

Auf der Suche nach Trost blättere ich durch das Kirchengesangbuch. Mein Blick fällt auf eine Strophe, welche die Adventshoffnung in Worte fasst: «Die Liebe geht nicht mehr verloren. Das Unrecht stürzt in vollem Lauf. Der Tod ist tot. Das Volk jauchzt auf und ruft: Uns ist ein Kind geboren!»

Verfasst hat die Zeilen Jan Willem Schulte Nordholt. Er kannte die schwarze Nacht. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er in den Niederlanden unter deutscher Besatzung für die Zeitschrift «Vrij Nederland». Mehrmals wurde er von den Nazis verhaftet.

Von der Liebe, die bleibt, und dem Unrecht, das ins Stolpern gerät, schrieb Nordholt 1959. Zwischen Deutschland und Frankreich war ein lange undenkbarer Friede möglich geworden. Die Geschichte des Undenkbaren schrieb sich fort. Die Mauer, die Europa teilte, fiel ohne Blutvergiessen. Das Nagelkreuz aus der Kathedrale von Coventry, die deutsche Bomben vollständig zerstört hatten, steht als Zeichen der Versöhnung in der Berliner Gedächtniskirche.

Manchmal hilft es, sich Friedensgeschichten in Erinnerung zu rufen. Möglich wurden sie, weil Menschen miteinander ins Gespräch kamen. Sie baten um Verzeihung und haben verziehen. Sie haben im Licht der Versöhnung neu begonnen, ohne die Nacht des Hasses und der Gewalt zu vergessen.

Vielleicht richtet sich das «Fürchtet euch nicht!» der Engel auch gegen meine Scheu, mich der Hoffnung auf Frieden hinzugeben, weil sie angesichts der harten Realität naiv erscheint. Doch das Kind in der Krippe zeugt davon, dass die Hoffnung oft im Verborgenen wächst, und das Licht im Dunklen flackert.

Wenn im Friedensdorf Neve Shalom / Wahat al-Salam in Israel jüdische und muslimische Familien ihren Alltag teilen, Kirchen im Südsudan Friedensarbeit leisten und hierzulande Religionsgemeinschaften sich nicht spalten lassen, so sind dies Adventsmomente, welche die Hoffnung auf Versöhnung nähren. Solange solche Lichter brennen, geht die Liebe nicht verloren.

Text: Felix Reich