Als Vierjährige hat Mary Lou Williams auf dem Klavier die Melodien nachgespielt, die sie von ihrer Mutter hörte. 1925, da war sie gerade mal sechzehn, ging sie bereits mit einem Orchester auf Tour. Sensation: Eine Frau am Piano!
Die eigentlich schüchterne Künstlerin musste sich gleichermassen gegen Rassismus wie Sexismus durchsetzen und wurde so zur Vorkämpferin für die Gleichberechtigung. Der Einfluss der «First Lady of Jazz» wurde über die Jahrzehnte immens. Sie komponierte für Benny Goodman und Duke Ellington. Stets experimentierfreudig und wandlungsfähig wurde sie aber auch zur Mentorin des Modern Jazz, verehrt von Thelonius Monk und Dizzy Gillespie.
Anfang der 50er-Jahre, in einer schwierigen Lebensphase, entdeckte sie auf Anregung eines Jazzmusikers die Psalmen. Ein halbes Jahr verbrachte sie nach eigener Aussage damit, zu essen, zu schlafen, die Psalmen zu lesen und zu beten. Nach ihrer Rückkehr in die USA trat Williams 1957 gar in die katholische Kirche ein und begann, -liturgischen Jazz zu komponieren. 1967 schrieb sie eine der ersten Jazz-Messen überhaupt. Ihre zweite Jazz-Messe präsentierte Williams sogar im Vatikan. Sie erhoffte sich päpstliche Förderung für den Jazz als musikalische Ausdrucksform in der Liturgie. Daraus wurde nichts, weil Paul VI. nicht bereit war, das Schlagzeug in der Liturgie zu erlauben.
Immerhin erhielt sie vom Sekretär der Kurienkommission «Justitia et pax» den Auftrag, eine dritte Jazz-Messe zu komponieren. So entstand «Music for Peace»: Kraftvoller, mitreissender, gleichzeitig verspielter und innovativer Jazz. Wahrhaft göttliche Musik, die heute schlicht und einfach «Mary Lou's Mass» genannt wird.