Warm eingekuschelt unter der Bettdecke schauen wir gemeinsam zurück auf den Tag. Jeden Abend fragen wir uns in der Familie gegenseitig, wofür wir heute dankbar sind. Wenn jemandem nichts einfällt, raten die anderen. Das Highlight des Tages anderer zu hören, erweitert dann die eigene Wahrnehmung. Nicht selten reissen wir uns dabei gegenseitig mit und gelangen in eine Art «Strudel der Dankbarkeit».
Zweifelsohne ist mir dieser Wert enorm wichtig. So wichtig, dass ich täglich mit unseren Kindern eine dankbare Haltung einübe. Was mich darin geprägt hat? Zunächst die Dankbarkeit in der jüdisch-christlichen Tradition. Mir kommen sofort die Psalmen der Bibel in den Sinn. Neben Klage und Verzweiflung strotzen manche Psalmen nur so vor Dankbarkeit, Jubel, Lobpreis, Gesang und Tanz. Es sind logische Reaktionen auf das lebensbejahende und rettende Handeln von Gott.
In der christlichen Spiritualität wird Dankbarkeit seit Jahrhunderten eingeübt, etwa im «Gebet der liebenden Aufmerksamkeit» der ignatianischen Exerzitien. Dabei lässt man abends den vergangenen Tag in Gedanken vorbeiziehen und nimmt die aufsteigenden Gefühle wahr. Wohlwollend – ohne zu werten oder zu urteilen.
Seit zwei Jahrzehnten wird Dankbarkeit psychologisch erforscht. Übungen wie das Dankbarkeitstagebuch oder der Dankbarkeitsbrief können das Wohlbefinden steigern und sogar die Gesundheit stärken. Was die aktuelle empirische Forschung als förderlich bestätigt, wird in religiösen Traditionen seit Jahrtausenden gepflegt: Es ist der Blick auf das, was trägt.
Das fällt nicht unbedingt leicht. Als ich Studierenden die Aufgabe stellte, zehn Dinge aufzuschreiben, wofür sie dankbar sind, kamen manche mächtig ins Schwitzen. Auch wenn ich den eigenen Kindern zuhöre, scheint mir eher der Blick auf das Negative als auf das Positive von Natur aus gegeben. Die Evolutionsbiologie liefert eine mögliche Erklärung: Die Vorsichtigen, die den Fokus auf Gefahren gerichtet haben, überlebten eher. Die Verträumten hingegen, die im Gras liegend den Himmel bestaunten, wurden eher von wilden Tieren überrascht.
Es bleibt mir wichtig, Dankbarkeit zu üben. Eben gerade, weil es einem nicht in den Schoss fällt. Weil es etwas kostet, den Blick vom dunklen Fleck auf die grosse helle Fläche des Tischtuches zu lenken. Ich erlebe, dass es sich lohnt. Ein Leben voller Dankbarkeit fühlt sich leichter und beschwingter an. Es gründet – ähnlich wie es die Psalmen ausdrücken – im Glauben daran, dass die wesentlichen Dinge geschenkt sind. Weder verdient noch kontrollierbar. Etwa meine Gesundheit oder mein Körpergefühl, Beziehungen und Freundschaften, feines Essen und frische Luft sowie all die Momente, die mich verzaubern. Da scheint mir Dankbarkeit die natürlichste Antwort der Welt.