Seit Jahren springt Simon Ammann der Konkurrenz hinterher. Hat der vierfache Olympiasieger im Skisprung den richtigen Moment zum Absprung verpasst?
Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Medien und Fans das Recht herausnehmen, über den Rücktritt von Sportlerinnen und Sportlern bestimmen zu wollen. Ammann kontert solche Übergriffigkeit ganz entspannt: «Den richtigen Moment für einen Rücktritt gibt es ganz einfach nicht.» Das hat er der «Luzerner Zeitung» vor bereits sieben Jahren zu Protokoll gegeben und fliegt mit 42 Jahren immer noch an der Weltspitze vorbei.
Die Skifahrerin Tina Weirather erzählt in einer Ausgabe von «Möhl talkt», dass sie sich über den Rücktritt anderer nicht mehr auslässt, seit sie selbst zurückgetreten ist. Die eigene Erfahrung hat ihr klar gemacht, wie vielschichtig ein solcher Entscheid ist. Genau wie Ammann ist auch sie zur Überzeugung gekommen, dass jede Sportlerin und jeder Sportler ihre und seine ganz eigene Rücktrittsgeschichte hat.
Davon lassen sich die Tausendschaften von «Experten», für die das Web eigens die Kommentarfunktion erfunden hat, natürlich nicht beirren. Sie wissen nur zu genau, wer auf der sportlichen Bühne etwas verloren hat und wer nicht. Diesen absoluten Durchblick haben selbstverständlich auch jene Sportreporter, die uns gerne mit der Drohung «das müssen wir noch eingehend analysieren» in die Werbepause entlassen. Und so kommen alle, die in der Kirche den Beichtstuhlgroove vermissen, doch noch auf ihre Kosten.
Weshalb eigentlich sollen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mir als Fan den Gefallen tun, im für mich richtigen Moment abzutreten? Für mich ist es völlig okay, wenn Simon Ammann noch mit 50 abgeschlagen in den hinteren Regionen der Rangliste landet. Und Lukas Braathen steht es frei, lange vor seiner Vollendung als Spitzensportler den Bettel hinzuschmeissen. Es sind ihre Entscheidungen. Und mein Wunsch: Viel Glück!
Was für den Sport gilt, das gilt überall für Profis wie für Amateure: Wenn jemand Freude und Erfüllung in seinem Tun erfährt, dann braucht er dazu von niemandem den Segen.
Es gibt Menschen, die schauderhafte Gedichte für Geburtstagsfeste reimen. Die sich für ihren Körper und nicht für unser Auge auf dem Hometrainer quälen. Die mit Inbrunst jeden falschen Ton treffen. Sich talentfrei ans Surfbrett klammern. Oder mit sicherem Instinkt sämtliche Modesünden begehen. Sie alle sollen das in völliger Freiheit tun dürfen. Und sollte ich den Anblick nicht mehr aushalten, dann steht es auch mir frei, freimütig meinen Rücktritt als Zaungast zu geben.